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Ludwig Pfau (1821-1894) · Briefedition


Datum: 30. 11. 1886
Adressat: Anna Spier


Stuttgart den 30. Nov. 1886

Liebe Anna. Endlich warst Du also bei Gretel, u. Deine Nachrichten über sie lauten im ganzen günstig. Daß sie nach einer solchen Operation matt war, ist kein Wunder, daß sie kein
Fieber hatte, ein günstiger Umstand, der nicht häufig sein dürfte, und wenn jetzt der Appetit und mit ihm der Schlaf wiederkehrt, so wird es auch schnell mit der Genesung gehen. Sag ihr, ich lasse ihr recht herzlich baldige Erstarkung wünschen. An Dr. Weiß werde ich ein paar Zeilen schreiben. Und, damit ich diesen Auftrag nicht vergesse, sage doch Freund Steiner, daß sein Advokat hier, nachdem er alle nöthigen Schritte gethan und ihm das Resultat gemeldet, noch immer auf eine Antwort von ihm warte.

Was Deinen Bruder Willy betrifft, der sich unliebsam über mich geäußert zu haben scheint, so hab ich ihm weder etwas in den Weg gelegt noch irgend ein Abenteuer auf dem Gewissen, das, wenn auch einseitig ausgelegt, ihm ein Recht zu solchen Äußerungen geben könnte. Das einzige, was ich mir denken kann, ist das, daß er es wohl /anstellt/, wie die meisten Menschen /es/ machen, und Unannehmlichkeiten, die ihm aus eigener Schuld erwachsen sind, andern in die Schuhe schieben wird. Er hat sich nämlich einmal eine unrechte Handlung zu schulden kommen lassen, die er aber später wieder gut gemacht hat, und die ihm also jetzt nicht weiter vorzuwerfen ist. Die Sache war in meinen Kreisen offenkundig, es war daher kein Geheimnis daraus zu machen, und ich dachte im Gegentheil, daß ihm eine Vernehmung von respektabler Seite nichts schaden würde. So habe ich wahrscheinlich, indem ich der Frau Steiner, die mich darüber fragte, die Wahrheit bestätigte, mit dazu Veranlassung gegeben, daß ((Bemel)), Willys Lehrherr, der übrigens beiläufig gesagt große Stücke auf ihn hält, ihn schriftlich zu Red stellte. Daß das geschehen, wußte ich nicht einmal, weil ich mich nicht weiter um die Sache kümmerte, und habe es erst jetzt auf mein Befragen von Frau Steiner
erfahren. Dem kann ich nur noch beifügen, daß ich später, als Willy seinen Fehler gut gemacht hatte, Frau Steiner alsbald hievon in Kenntniß setzte. Ihrem Vater freilich konnte diese Genugthuung nicht mehr zutheil werden, weil er schon gestorben war.

Ich habe Dir diese Angelegenheit ausführlicher berichtet, damit Du weißt, woran Du bist; und es wird mir lieb sein, wenn Du bei nächster Begegnung mit Willy ihm, ohne diese Sache zu berühren, etwas zu Leib/e/ gehst und ihm begreiflich machst, daß er vollkommen berechtigt sei, diejenigen Gefühle gegen mich zu hegen, die ihm gut dünken, daß es aber nicht Gentlemans Art sei, durch zweideutige Redensarten denjenigen zu verdächtigen, dem man übel will. Über mich selber habe ich nichts zu berichten, als daß ich arbeite und meine Schreibereien zwei- und dreimal ((umorgle)), bis ich damit zufrieden bin, wodurch die Sache keineswegs beschleunigt wird. Hoffentlich wird man Euch Mädchen, die Ihr so vernünftig seid, die Beine verlängern. Es ist mir nur leid, daß ich nicht auch dabei sein kann, was wohl keine so großen Schwierigkeiten hätte, da der Dr. die Männer weniger zu fürchten scheint als die Frauen. Er scheint halt zu wissen, daß bei diesen gewöhnlich abstoßende Gegenströmung herrscht, und die Ausnahmen ((nicht)) zu kennen.

Beste Grüße an Mann, Gretel und Kinder
                                                       Von Herzen
                                                                       Dein L. P.


Quelle: Deutsches Literaturarchiv Marbach a. N.
Best.: A: Pfau - o.Nr. -
Transkription: © 1983 Dr. Reinald Ullmann


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