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Ludwig Pfau (1821-1894) · Briefedition


Datum: 7. 12. 1886
Adressat: Anna Spier


Stuttgart den 7. Dez. 86

Liebe Anna!

Eben fahr ich mit dem Kopf aus meiner Schreiberei empor - ich habe nämlich gerade das letzte Wort über den Abschnitt 'Deutsche Porträtisten' geschrieben – und sehe auf die Uhr, und da ists 9. Da spür ich denn auch einiges Rumoren in meinem Magen, der noch nicht zu Nacht gegessen hat, und will schon fortrennen, halb noch im Dusel all der Farbenbilder, die mir vor den Augen herumtanzen, – da fällt mirs plötzlich aufs Herz, daß es Dienstag Abend ist und daß Du morgen einen Brief erwartest. Aufrichtig gesagt, möchte ich jetzt lieber in einer Ecke sitzen und meinen Herzensverkehr mit Dir in aller Stille mit freundlichen Gedanken und angenehmen Erinnerungen abmachen, statt noch einmal nach der Feder zu greifen, um einer langweiligen stilistischen Unterhaltung obzuliegen, wo die lahmen Worte so elend hinter den flinken Gedanken herhinken und sie nicht einholen.

Aber wenn man anderen Pflichtgefühl predigt, muß man mit der Pflicherfüllung bei sich selber anfangen und den Egoismus fortjagen; denn von all dem Angenehmeren, das ich statt des
Schreibens denken könnte, hättest Du ja doch nichts.

Aus dieser Betrachtung ersiehst Du, daß ich in meinen vier Werken [Wänden?] hocke und nichts mit mir und um mich herum vorgeht, was sich der Mühe einer Erwähnung verlohnte.

Daß Gretel der Besserung oder vielmehr der Heilung in geregeltem Tempo entgegen geht, ist mir sehr tröstlich. Ein alter Bleistift, mit welchem ich in den letzten Wochen geschrieben,
will ich ihr gern schicken, und auch einige Federnhalter dazu, denn auf meinem Schreibtisch befindet sich nichts Elegantes, das ich ihr widmen könnte, sonst würd ich ihr etwas anderes geben. Aber bei meiner fahrenden Lebensweise hat sich bei mir nie 'Grust' ansammeln können. Pierre qui roule, n'amasse pas de mousse, sagt der Franzos.

Das hindert aber nicht, daß ich ihr was Eßbares schicken will, was gutes, das ihr schmeckt. Das ist das ursprüngliche, naive Geschenk des Naturmenschen, und Du weißt, daß ich etwas auf die Naturseite der Existenz halte, nicht aus Gourmandise, sondern weil ich sie etwas höher auffasse.

Jetzt geht auch noch meine Lampe aus, in der kein Öl mehr ist, und treibt mich fort.

Also: beste Grüße an Gretel und beste Wünsche. Freund Steiner laß ich auch schön grüßen und bin wie immer
                                                                         Dein L. P.


Quelle: Deutsches Literaturarchiv Marbach a. N.
Best.: A: Pfau - o.Nr. -
Transkription: © 1983 Dr. Reinald Ullmann


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