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Ludwig Pfau

Die Heliographie.


[1:] Photographische Anfänge von Niepce.

Ende der dreißiger Jahre war es daß es zum erstenmale gelang das Bild der Kamera obskura festzuhalten, und seit dieser Zeit ist der menschliche Erfindungsgeist bestrebt das photographische Bild in eine Platte mit vertiefter oder erhabener Zeichnung zu verwandeln, die sich wie ein Kupferstich oder Holzschnitt vermittelst Druckerschwärze und Pressendrucks vervielfältigen läßt. Die großen Schwierigkeiten die sich anfänglich diesem Unternehmen entgegenstellten, wurden allmählig überwunden, und mehr oder weniger gelungene Proben kamen unter allerlei Namen zum Vorschein. Heliographie, Phototypie, Photolitographie, Photoglyptik &c. sind solche Benennungen, die wir zu unserer und des Lesers Bequemlichkeit unter dem Titel  H e l i o g r a p h i e  zusammenfassen wollen, um damit alle diejenigen photogenischen Bilder zu bezeichnen die vermittelst des Drucks vervielfältigt werden, im Gegensatz zur  P h o t o g r a p h i e  welche auch ihre positiven Bilder mit Hilfe des Sonnenlichts erzeugt; denn die gute deutsche Uebersetzung des im Französischen gebräuchlichen Wortes Heliogravure, nämlich »Sonnenstich«, die möchte doch etwas verdächtig anklingen.

Zwar konnte man schon auf früheren Ausstellungen einige gelungene Ergebnisse heliographischer Arbeit bewundern; aber erst auf der Ausstellung von 1867 zeigte diese Technik einen genügenden industriellen Fortschritt um für die kommerzielle Ausbeutung brauchbar zu werden. Der Bilderindustrie steht eine vollständige Umwälzung bevor: Kupferstecher und Holzschneider kommen am Ende des neunzehnten Jahrhunderts ungefähr in dieselbe Lage in welcher sich die Bücherkopisten und Manuskriptenmaler zu Ende des fünfzehnten befanden; denn was für das Schreiben die Typographie war, das ist für das Zeichnen die Heliographie. In wenigen Jahren wird das Bild massenhaft aus den Galerien in die Privathäuser dringen, gerade wie das Wort durch Guttenberg’s Erfindung aus den Bibliotheken in die Familien drang. Die getreuesten Abbildungen der besten Kunstwerke, die gediegensten Illustrationen zu allen Wissenschaften werden bald so wohlfeil sein, wie die abgeschmackten Heiligenbilder womit man bis jetzt den Kunstsinn des Volks ruinirte. Welches Glück! Dem artistischen Schund ist das Handwerk gelegt. Auch die Heliographie schlägt der geistlichen Macht einen Nagel in den Sarg und ruft: Possumus! — Possumus! das ist der Triumphschrei des Geistes vor dem jede Gewalt zusammenbricht die nicht seiner Natur ist, und deßhalb  n i c h t  kann. Selbst die Apostel der Unfehlbarkeit huldigen dem Lichte und lassen sich von ihm abkonterfeien. Denn mag es für Liebhaber der Finsterniß auch noch so ärgerlich sein daß die Sonne selber, dieser Urgott der alten Religionen, sich herbeiläßt mit seinen Zeichenkünsten Unterricht und Bildung zu verbreiten – in Sachen der  H e l i o graphie dürfte es der frommen Gesellschaft doch schwer werden die offenbare Arbeit des Lichts für Teufelswerk zu erklären.

Das Instrument welches zur Aufnahme der photographischen Bilder dient, die Kamera obskura, wurde schon vor drei Jahrhunderten von einem neapolitanischen Physiker Namens  P o r t a  erfunden. Jedermann kennt diese optische Einrichtung. Sie besteht aus einem inwendig geschwärzten Kasten mit einer kleinen Oeffnung auf der Vorderseite. Die vor dieser befindlichen Gegenstände schicken ihre Lichtstrahlen durch die Oeffnung und zeichnen sich als umgekehrtes Bild auf die weiße Rückseite des Kastens. Um dem Bilde mehr Feld und Schärfe zu geben, setzt man eine Glaslinse in die Oeffnung, und um das Bild von Außen sehen zu können, ersetzt man die Rückwand durch eine mattgeschliffene Glastafel. An Stelle dieser wird beim Photographiren die präparirte Fläche oder Platte eingeschoben welche das Bild aufnehmen und festhalten soll. Dieses anfänglich sehr einfache und mangelhafte Instrument wurde seit Entdeckung der Photographie von Optikern und Mechanikern in hohem Grade vervollkommnet.

Die Kamera obskura ist im Grunde nur ein künstliches Auge das an der Stelle der Netzhaut einen Lichtschirm hat; und diesen Schirm für die Lichtstrahlen chemisch empfänglich zu machen, wie die Netzhaut es physiologisch ist, das war eigentlich die Aufgabe der photographischen Erfinder. Denn seit Porta’s Entdeckung war in gar manchem Betrachter der Wunsch aufgestiegen das leider ebenso flüchtige als reizende Bild der dunklen Kammer in die Helle des Tages hinaustragen und für immer festhalten zu können. Einzelne Forscher hatten sich wohl auch bis zu Versuchen vorgewagt, aber sie zogen sich bald vor einer Aufgabe zurück deren Lösung eine Unmöglichkeit schien. Man begnügte sich das wunderbar feine Lichtgemälde mit einem Bleistift nachzuzeichnen, wodurch man natürlich nur einen plumpen Umriß erhielt, der zwar für Verhältniß und Perspektive von einiger Hilfe sein konnte, dessen Unvollkommenheit jedoch die Vollendung des verschwundenen Bildes nur um so schmerzlicher fühlbar machte.

In der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts soll ein Alchymish Namens  F a b r i c i u s ,  das Chlorsilber sowie die färbende Wirkung des Lichts auf dasselbe entdeckt haben; und gegen Ende des vorigen Jahrhunderts zeigte der Pariser Physiker  C h a r l e s  in seinen Vorlesungen schwarze Silhouetten die er vermittelst der Kamera obskura auf einem mit Chlorsilber bestrichenen Blatte Papier hervorgebracht hatte. Dieselben verschwanden jedoch zusehends, da• das ganze Papier sich alsbald im Lichte zu schwärzen begann, und gingen nicht über die Grenze chemischer Spielereien hinaus. Der Engländer  W e d g w o o d  war der erste, welcher die Silbersalze zu ernstlichen photographischen Versuchen gebrauchte. Nach seinem Tode veröffentlichte im Jahre 1802 das Journal der Royal Institution in London seine »Beschreibung eines Verfahrens, um durch die Wirkung des Lichts auf das salpetersaure Silberoxyd Glasgemälde zu kopiren und Silhouetten herzustellen«. Seine Landsleute Humphry  D a v y  und James  W a t t  beschäftigten sich gleichfalls mit diesem Gegenstande; aber die Bemühungen beider, wie die Wedgwood’s, blieben im ganzen fruchtlos, da es ihnen nicht gelang, die hellen Stellen des Bildes gegen die Nachwirkungen des Lichtes zu schützen und vor dem Schwarzwerden zu bewahren.

Der erste, den man als den eigentlichen Vorläufer der Photographie und Heliographie betrachten kann, ist Joseph Nicéphore  N i e p c e .  Ein Kind begüterter Eltern, im Jahre 1765 in Châlon-sur-Saône geboren, ging er 1792 als Lieutenant zur Armee und nahm, in Folge einer langwierigen Krankheit die ihn in Nizza befiel, 1794 seinen Abschied Er verheirathete sich mit dem Töchterlein seiner Wirthin, das ihn gepflegt hatte, und lebte in einem Landhause bei jener Stadt bis 1807. Im Juni dieses Jahres kehrte er mit seinem Bruder Claude Niepce, einem geschickten Mechaniker, ins väterliche Haus nach Châlon zurück. Hier arbeiteten die beiden Brüder an einer Maschine welche sie Pyreolophor nannten und welche durch plötzliche Erwärmung und Erkältung der Luft die motorische Wirkung des Dampfs hervorbringen sollte. Sie ließen in der That ein mit dieser Vorrichtung versehenes Schiff mehrere Tage lang auf der Saône gehen; die Idee fand jedoch keinen Anklang in Frankreich, und Claude, nachdem er 1816 Châlon mit Paris vertauscht hatte, ging nach England, konnte aber auch dort seiner Erfindung nicht Bahn brechen. Er ließ sich in Kiew nieder und starb daselbst ein Jahrzehnt später, nicht ohne sich vorher durch vieles Grübeln den Kopf verwirrt zu haben.

Nach Claude's Abreise bezog Nicéphore sein Landhaus in Saint-Loup-de-Varennes bei Châlon und lebte dort seinen Studien und Arbeiten. Schon ums Jahr 1814 hatte er die Versuche, Bilder durch die chemische Wirkung des Lichts hervorzubringen, begonnen. Und zwar war es die Heliographie, die photogenische Erzeugung einer druckbaren Platte, was er von vornherein anstrebte, da ihm Sennefelder’s Erfindung der Lithographie den Anstoß zu seinem Unternehmen gegeben hatte. Er operirte zuerst mit Silbersalzen und ähnlichen Ingredienzen, die ihm natürlich verkehrte Bilder gaben auf welchen das Licht dunkel und der Schatten hell erschien. Es gelang ihm jedoch nicht seine negativen Bilder in positive zu verwandeln, und noch weniger, die so behandelten Metallplatten zu ätzen. Er probirte nun vielerlei Substanzen, unter anderem auch Phosphor; suchte nach einer Säure welche, unter dem Einflusse des Lichts und je nach dem Grade der Beleuchtung oder Beschattung des abzubildenden Gegenstands, das Bild mehr oder weniger tief in die belichtete Metallplatte einätzen sollte, und wandte sich schließlich den harzigen Stoffen zu. Nachdem er zuerst das Gaiac-Harz in Angriff genommen, blieb er zuletzt beim Erdharz oder Asphalt – Bitume de Judée – stehen, welches, wie auch spätere Untersuchungen zeigten, das für diesen Zweck geeignetste ist. Schon damals nannte Niepce sein Verfahren »Heliographie«; und wenn auch der Asphalt heute nur noch von wenigen Heliographen und hauptsächlich zu Reproduktion von Stichen oder Zeichnungen angewendet wird, so enthält diese Methode doch das Prinzip das allen späteren zu Grunde liegt.

Die Rolle der verschiedenen organischen Stoffe welche man zu heliographischen Zwecken benützt, beruht auf derselben Eigenschaft: sie werden, in Folge der chemischen Veränderung welche das Licht mit ihnen vornimmt, unlöslich, und widerstehen jetzt den Flüssigkeiten von denen sie vor der Lichteinwirkung aufgelöst wurden. So wird das Erdharz von den flüchtigen Oelen aufgelöst; wenn man es jedoch eine zeitlang den Lichtstrahlen aussetzt, wird es, namentlich für einzelne solcher Essenzen, unlöslich, während die vom Lichte nicht berührten Stellen ihre Löslichkeit behalten. Auf diese von ihm entdeckte Eigenschaft des Erdharzes gründete nun Niepce sein Verfahren, das sich vorerst für die Reproduktion von Stichen und Drucken brauchbar erwiesen hatte. Zu letzterem Zwecke machte er das zu kopirende Bild vermittelst eines Firnisses durchsichtig, legte es auf eine mit Erdharz bestrichene Metallplatte und setzte es der Sonne aus. Die Lichtstrahlen wurden nun von der schwarzen Zeichnung aufgehalten, drangen dagegen durch die durchsichtigen Stellen des Papiers und zersetzten das darunter befindliche Erdharz, das in Folge dessen eine weißliche Farbe annahm. So entstand eine Nachbildung des Originals welche die dunklen und hellen Stellen der Zeichnung in ihrem natürlichen Verhältnisse beließ. Wenn man hierauf die Metallplatten in Lavendelöl tauchte, so löste dieses die dunklen vom Lichte nicht berührten Theile der Harzschichte auf, während die vom Lichte veränderten unlöslich geworden waren. Es entstand hiedurch eine Zeichnung auf welcher die schwarzen Linien des Drucks durch das zu Tage getretene Metall, die weißen Zwischenräume des Papiers durch das von der Sonne gebleichte Erdharz dargestellt wurden, und das somit von der ferneren Einwirkung der Tageshelle nichts zu fürchten hatte. Der Harzüberzug erlaubte überdies eine solche Platte, wie eine Radirung, vermittelst einer geeigneten Säure zu ätzen und für den Druck brauchbar zu machen.

Aber so nützliche Anwendungen dieses Verfahren auch gestatten mochte, es galt vor allem die Bilder der Camera obscura zu fixiren, und hier stieß Niepce auf Schwierigkeiten die er nicht zu überwinden wußte. Bei der Nachbildung von Stichen fiel das volle Licht auf die Harzfläche, und die Dauer der Belichtung war eine unbeschränkte. Bei Aufnahmen nach der Natur dagegen führte das kleine Bild der Camera ein zu geringes Lichtquantum mit sich um auf das nicht sehr empfindliche Erdharz einen kräftigen Eindruck zu machen. Man mußte daher durch Länge der Zeit ersetzen was an Kraft der Wirkung abging, und die Platte 8 bis 10 Stunden lang unter dem Bilde lassen. Inzwischen drehte sich jedoch die Sonne und veränderte Licht und Schatten des Bildes, bevor dieses gehörig fixirt war.

Wenn daher schon aus diesem Grunde seine Methode eine sehr unvollkommene bleiben mußte, so war Niepce auch mit seinen Aetzversuchen nicht glücklich; denn der Kupferstecher Lemaitre, dem er seine• Platten zum Vollenden und Drucken anvertraute, vermochte nicht mehr als zwanzig sehr unvollkommene Abdrücke davon zu erhalten. Freilich hat dieser• letzte Uebelstand seinen Grund nicht allein in der Unvollkommenheit des photographischen Prozesses, sondern auch in der mangelhaften Ausbildung des Aetzverfahrens, das erst durch fortgesetzte und mehrseitige Bemühungen den Bedürfnissen der Heliographie gerecht werden konnte.

Ueberhaupt hatte der einsame Forscher in seinem abgelegenen Landhause mit allerlei Schwierigkeiten zu kämpfen, und es ist kein Wunder daß er nach zehnjährigen Studien und Versuchen nur zu geringen Erfolgen gelangt war. Schon die Unvollkommenheit der damaligen Camera obscura, welche den größten Theil des einfallenden Lichts auf dem Wege von der Linse bis zum Einstellpunkte verloren gehen ließ, war ein erstes und hauptsächliches Hindernis. Dabei hatte Niepce weder eine Idee von Anwendung der  e n t w i c k e l n d e n  Reagentien, welche, indem sie sich mit dem belichteten Stoffe kombiniren, das noch latente Bild erst hervorrufen, noch von Erzeugung  n e g a t i v e r  und  p o s i t i v e r  Bilder, wodurch die Vervielfältigung einer Aufnahme ermöglicht wird – zwei Hilfsmittel, auf welchen die ganze spätere Photographie beruht. Er wollte die Heliographie auf dem direktesten Wege herstellen und gleich das letzte Ziel erschwingen, ehe noch die Zwischenstationen erreicht waren. Das gab seinen Versuchen einen unsteten, schwankenden Charakter, und obwol er als der Erste das Bild der Camera fixirt hat, so blieb das von ihm erzielte Resultat doch so unvollkommener Natur daß man es unmöglich für mehr als den Embryo der Photographie erklären kann. Offenbar war hier die Arbeit vieler nöthig um eine so zusammengesetzte Aufgabe nach allen ihren optischen, chemischen, graphischen und mechanischen Seiten hin in Angriff zu nehmen. Um aber diese vielen zu gemeinsamer Arbeit zu sammeln, mußte, ohne Rücksicht aus andere praktische Fragen, vor allem einmal ein hinlänglich scharfes und dauerhaftes Bild erzeugt werden, das die Möglichkeit der Lösung bewies und die Aufgabe aus dem Asyl des einsamen Grüblers in die Wogen der industriellen Menge warf. Diese Mission erfüllte Daguerre.

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