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Ludwig Pfau

Die Heliographie


[3:] Erfolge und Fortschritte des Daguerreotyps.

Die jüngere Generation fand die Photographie als vollendete Thatsache vor und hat keinen Begriff von dem gewaltigen Aufsehen welches das Daguerreotyp bei seinem ersten Erscheinen, namentlich in der französischen Hauptstadt, hervorrief. Ich wohnte sozusagen der Geburt oder wenigsten der Taufe dieser Erfindung bei, als ich im Frühling 1839, ein Bursche von 17 Jahren, zum erstenmal nach Paris kam. Mit der Wissensgier der Jugend stand ich stundenlang vor einem Schaufenster am Kai, wo die ersten Daguerreotype ausgestellt waren, und suchte die Wunderbilder zu enträthseln welche in allen Kreisen den Gegenstand der Unterhaltung bildeten. Als die Zeitungen die Nachricht von der öffentlichen Akademiesitzung brachten in welcher das Geheimniß enthüllt werden sollte, befand ich mich in Ris, einem Dorfe an der Seine, einige Stunden oberhalb Paris. Ich hatte natürlich nichts wichtigeres zu thun als am Morgen des 19. August mit dem Dampfschiff in die Stadt zu fahren, denn von einer Eisenbahn war damals noch keine Rede. Diese Fahrt hat sich meinem Gedächtnisse um so tiefer eingeprägt, als mir unterwegs ein unhöflicher Windstoß den Strohhut in die Seine warf, so daß ich ohne Kopfbedeckung nach Paris kam. Aber barköpfig wie ich war, stürzte ich nach dem Akademie-Gebäude, wo mich eine zweite Ueberraschung erwartete. Die Oeffentlichkeit der Sitzung hatte ich etwas allzu wörtlich verstanden, denn obwol die Feierlichkeit erst in zwei Stunden beginnen sollte, waren nicht nur alle Plätze längst von Begünstigten besetzt, sogar Umgebung, Hof und Vorplatz des Instituts waren mit einer dichten Menschenmenge bedeckt. Eine Aufregung herrschte als ob es sich wenigstens um eine gewonnene Schlacht handelte. Ein Sieg – ein größerer als jene blutigen – war allerdings erfochten worden, ein Sieg des wissenden Geistes. Und gerade diese allgemeine Feier einer solchen Eroberung hatte etwas Berauschendes. Die Menge war wie eine elektrische Batterie die einen Funkenstrom aussendet. Jeder hatte eine Freude an der Freude des Anderen. Im Reiche des unendlichen Fortschritts war wieder eine Grenze gefallen, und die Menschheit fühlte sich im Lande ihrer Heimat. Oft will es mich schmerzlich bedünken als ob das nachgekommene Geschlecht einer ähnlichen Begeisterung nicht fähig wäre.

Allmählig gelang es mir durch die Menge zu gleiten, und mich in der Nähe des Allerheiligsten einer Gruppe einzuverleiben die aus Leuten der Wissenschaft zu bestehen schien. Hier fühlte ich mich wenigstens dem Vorgange geistig und der Aufklärung physisch näher gerückt. Nach langem Warten öffnet sich endlich im Hintergrund eine Thüre und die ersten Zuhörer stürzen auf den Vorplatz. »Jodsilber!« ruft der Eine, »Quecksilber!« schreit der Andere, und ein Dritter behauptet gar, unterschwefligsaures Natron heiße die geheimnißvolle Materie. Jedermann spitzt die Ohren, und Niemand begreift. Dichte Kreise bilden sich um einzelne Sprecher, und die Menge sucht bald hier, bald dort einzudringen um die Kunde zu erhaschen. Endlich gelingt es auch unserer Gruppe einen der glücklichen Zuhörer am Frackzipfel zu erwischen und zum Beichten zu nöthigen. Das Geheimniß klärt sich allmählig auf; aber noch lange wogt die aufgeregte Menge unter den Arkaden des Instituts und auf dem Pont des Arts hin und her, bevor sie sich entschließen kann in die Grenzen der Alltäglichkeit zurückzukehren.

Eine Stunde später waren bereits die Läden der Optiker belagert, die nicht genug Instrumente auftreiben können um das hereinbrechende Herr der Daguerreotypisten zu befriedigen; und nach einigen Tagen sah man auf allen Plätzen von Paris dreibeinige Guckkasten vor Kirchen und Palästen aufgepflanzt. Sämtliche Physiker, Chemiker und Gelehrte der Hauptstadt polirten Silberplatten, und selbst der höhere Würzkrämer konnte sich unmöglich die Genugthuung versagen, einen Theil seines Zeitlichen auf dem Altare des Fortschritts in Jod zu verdampfen und in Quecksilber zu verräuchern. Bald erschien auch eine Schrift in welcher Daguerre sein Verfahren auf's genaueste beschrieb, und da – o Schmerz! – mein Geld nicht zum Apparate reichte, kaufte ich die Broschüre um wenigstens in Gedanken zu daguerreotypiren. Ich sehe sie noch vor mir, in ihrem violettgrauen Umschlag, auf dem als Vignette das Pantheon abgebildet war mit der Inschrift: »Aux grands hommes la patrie reconnaissante.« Der Herausgeber hatte nicht umhin gekonnt dem Erfinder mit einem Holzschlegel der Unsterblichkeit zu winken.

Von den liebenswürdigen Philistern die sich dieser neuen Beschäftigung widmeten, sah sich übrigens mehr als einer grausam enttäuscht. Denn wie wenig Schwierigkeiten die Operation auch Leuten vom Fache darbot, sie bedurfte immerhin einer gewissen wohlverstandenen Genauigkeit die nicht jedermanns Sache ist. Mancher Enthusiast wurde daher etwas abgekühlt, wenn er auf seiner Platte nichts als finstere Tintenhimmel oder verschwommene Schneehäuser hervorzauberte. Auch war das Daguerreotyp in den ersten Tagen noch weit von jenen Verbesserungen entfernt welche ihm die Mitarbeiterschaft des Publikums in kurzer Zeit eintrug. Die anfänglichen Bilder hatten eine höchst unangenehme Spiegelung, die den Beschauer nöthigte die Platte zu wenden und zu drehen bis das Licht unter einem bestimmten Winkel einfiel und die Zeichnung sichtbar machte. Das Sehfeld war außerordentlich beschränkt. Belebte Gegenstände konnten nicht dargestellt werden. Massen von gewissen Farben zeigten sich nur als Silhouetten. Die Modellirung hatte wenig Effekt, indem sie nur durch den Kontrast von Merkur und Silber sich geltend machte. Das Bild war außerordentlich vergänglich, da es nicht die geringste Reibung ertragen konnte und schon unter dem leisesten Pinselstrich verschwand. Endlich stand zu befürchten, daß durch die allmälige Verdunstung des Quecksilbers die Zeichnung an Schärfe verlieren, ja schließlich ganz verschwinden möchte.

Ein Theil dieser Uebelstände hatte seine Ursache in der geringen Lichtkraft des Kammerbildes, und in der Länge der Zeit welche demzufolge der Lichteindruck erforderte. Eine Viertelstunde mußte die Platte einer kräftigen Bildhelle ausgesetzt bleiben wenn die Probe gelingen sollte. Die erste Verbesserung die man anstrebte, war daher die Abkürzung der Belichtungszeit, und indem man den Fokus der Linse verkürzte und dadurch eine größere Lichtmenge in die Kammer einführte, gelang es bald die Platte stärker zu beleuchten und die Zeit der Ausstellung bedeutend zu vermindern.

Eine weitere Verbesserung ihres Instruments verdankt die Photographie dem Optiker Charles Chevalier, den wir bei dieser Erfindung schon einmal eine Nebenrolle spielen sahen. Daguerre hatte sich eines einfachen Objektivs bedient; Chevalier kam auf die Idee, zwei achromatische Gläser zu einem doppelten Objektiv zu vereinigen und so die bereits errungenen Vortheile der Fokuskürze und Lichtstärke noch bedeutend zu vermehren. Dieses System erlaubte schon jetzt in zwei bis drei Minuten zu operiren.

Vollständig gelöst wurde das Problem der kurzen Belichtungszeit jedoch erst durch die Entdeckung der  b e s c h l e u n i g e n d e n  Substanzen. Ein französischer Künstler Namens  C l a u d e t ,  welcher dem Erfinder des Daguerreotyps das Recht der Ausbeutung für England abgekauft hatte, machte diese Entdeckung im Jahre 1841. Die Beschleuniger, ohne selbst photogenischer Natur zu sein und im Lichte sich chemisch zu verändern, geben der jodirten Silberplatte eine solche Lichtempfindlichkeit daß einige Sekunden zur Festhaltung des- Bildes genügen. Die Stoffe, welche diese Wirkung hervorbringen, sind zahlreich; die hauptsächlichsten bestehen aus Chlor- oder Bromverbindungen. Claudet entdeckte die beschleunigende Eigenschaft zuerst am Chlorjod, das jedoch an Wirksamkeit später entdeckten Verbindungen nachsteht. Chlorschwefel, Chlorsäure, Bromjod, Bromkalk &c. sind beiweitem wirksamer. Die letztere Substanz kam zur allgemeinsten Anwendung, indem man die Platte zuerst den Jod-, sodann den Bromkalk-Dämpfen und schließlich noch einmal dem Jod aussetzte um die empfindliche Schichte herzustellen.

Die Entdeckung der Beschleuniger erlaubte nun belebte Gegenstände abzubilden, namentlich dem langgehegten Verlangen nach Porträtbildern gerecht zu werden. Man hatte sich zwar schon im Jahre 1840 an’s Porträt gewagt, die langwierige Belichtung jedoch und das Sitzen in voller Sonne mußte Karikaturen liefern welche den Ruhm des Daguerreotyps eher zu mindern geeignet waren als zu mehren. Jetzt aber, nachdem man die Aufnahme in einigen Sekunden vollenden und so der Physiognomie den Ausdruck des Lebens bewahren konnte, kamen mehr und mehr gelungene Porträte zum Vorschein.

Eine letzte Verbesserung beseitigte noch den Rest der Mißstände: den Mangel an Haltbarkeit, die Schwäche des Tons und die übermäßige Spiegelung. Der französische Physiker  F i z e a u  steuerte jenen Gebrechen indem er das Bild in eine leichte Goldschichte hüllte. Diese Operation wird mittelst eines mit unterschwefligsaurem Kali gebildeten Goldsalzes vorgenommen. Nachdem das Bild hervorgerufen und das überschüssige Jodsilber entfernt ist, gießt man die Salzlösung auf die Platte, die man mäßig erhitzt, worauf sich alsbald die ganze Fläche mit einem leichten Goldfirniß überzieht. Hierauf schüttet man den Rest der Flüssigkeit ab, wäscht die Platte in destillirtem Wasser und trocknet sie über der Spirituslampe. Die Vergoldung erhöht nicht nur die Festigkeit des Niederschlags, der nun eine ziemliche Reibung aushält, und löscht den Glanz der Spiegelung, die jetzt nicht mehr in falschen Lichtern aufblitzt, sie kräftigt überhaupt den Ton, indem sie dem Merkur eine größere Lebhaftigkeit, dem Silber eine ruhigere Tiefe gibt. Wenn man ein goldloses Bild neben ein vergoldetes hält, so scheint das erste einem nordischen Nebeltag, das zweite einer südlichen Sonnengluth zu entstammen.

Nach all diesen Fortschritten hatte das Daguerreotyp eine Vollkommenheit erreicht die für die Photographie auf Metall kaum etwas zu wünschen übrig ließ, denn die Bilder zeigten die Feinheit der Zeichnung und Modellirung die bis jetzt kein anderes Verfahren ganz erreicht hat. Aber trotzdem konnte man seiner nicht recht froh werden. Die Verkehrung des Bildes, die aus rechts links und aus links rechts macht, war in vielen Fällen noch der geringste Uebelstand, dem sich überdies durch einen Reflektirspiegel, freilich auf Kosten der Belichtungskraft, abhelfen ließ; aber schon die metallische Spiegelung, die nie vollständig zu beseitigen war, hatte etwas allen künstlerischen Gefühlen Widerstrebendes. Dazu blieben diese Bilder auf ihren Kupferplatten immer unhandlich zur Aufbewahrung wie zur Benützung. Sie ließen sich weder übertragen, noch durchzeichnen, noch sonst bequem verwenden. Der Lichtabdruck des flüssigen Lebens war an das starre, unorganische Metall gebunden und konnte zu keiner freien Wirksamkeit gelangen, und dies umsoweniger als jede Operation nur ein einziges Exemplar lieferte. Kaum war daher das Daguerreotyp mit Begeisterung empfangen worden, so kam schon die Unzufriedenheit hinter der Befriedigung hergehinkt. Der allgemeine Wunsch verlangte jetzt Abdrücke auf Papier, und ein Verfahren das die Vervielfältigung der einzelnen Probe zuläßt. Wie Niepce beim Beginne des Unternehmens, strebte man auch jetzt wieder nach dem letzten Ziele, nach der Heliographie, und suchte die Daguerre'sche Platte druckfähig zu machen.

Der erste der sich an diese Aufgabe wagte, war Doktor  D o n n é .  Es gelang ihm auch, mit Hilfe von verdünnter Salzsäure, das Silber anzugreifen ohne den Merkur zu versehren, und eine druckbare Platte zu liefern. Aber die außerordentliche Zartheit der Merkurschichte macht jede kräftige Aetzung unmöglich, und die Seichtheit der Vertiefung, verbunden mit der Weichheit des Silbers, beschränkte den Druck auf vierzig bis fünfzig höchst unvollkommener Abzüge. Der bereits genannte  F i z e a u  vervollkommnete dieses Verfahren, indem er, nach leichter Aetzung vermittelst einer verdünnten Mischung von Salpeter- und Salzsäure, die Platte mit trocknendem Oelfirniß einrieb der sich nur in den Vertiefungen festsetzte. Er vergoldete hierauf die Platte auf galvanischem Wege, wobei sich das Gold natürlich nur auf die erhabenen, vom Fette nicht beschützten Stellen niederschlug. Hierauf reinigte er die Platte und vollendete die Aetzung mit Scheidwasser. Da diese Säure das Gold nicht angreift, konnte er die Zeichnung hinlänglich vertiefen, worauf er, um die Weichheit des Silbers unschädlich zu machen, die fertige Platte mit einer galvanischen Kupferschichte überzog. Auf diese Art erhielt Fizeau sehr annehmbare Abdrücke. Ich sah ein von ihm und dem Kupferstecher H u r l i m a n ausgeführtes Blatt mit einer Anzahl Münzen und Medaillen nach Gypsabgüssen, das durch Feinheit überrascht und sich vor den heutigen Heliographien nicht zu schämen braucht. Die Methode war jedoch zu schwierig und zu komplizirt, um vor der industriellen Praxis bestehen zu können. Ueberdies trat nun ein für die Geschichte des Lichtbilds höchst wichtiges Ereigniß auf den Platz, welches die Heliographie eine zeitlang in den Hintergrund drängte indem es alle Wünsche zu befriedigen schien: die Entdeckung der Photographie auf Papier. Auch das Daguerreotyp konnte dieser Errungenschaft nicht die Wage halten und verschwand in kurzer Frist vom Schauplatz.

Daguerre nahm an den Verbesserungen seiner Erfindung keinen thätigen Antheil. Sein Diorama war schon 1839, kurz vor Veröffentlichung seines Verfahrens, abgebrannt, und er hatte sich nach Bry-sur-Marne auf’s Land zurückgezogen, wo er in philosophischer Ruhe lebte und von Zeit zu Zeit die Besuche alter Freunde und neuer Verehrer empfing. Er verschmähte es, seine Erfindung und seinen Namen an der Spitze einer Gesellschaft auszubeuten, und begnügte sich mit der bescheidenen Wohlhabenheit welche ihm seine Pension und der Verkauf seines Patents für England verschafften. Zum Zeitvertreib schmückte er die Kirche seines Dorfs mit einer Effektmalerei im Theaterstyl welche dem kleinen Bau das Aussehen und die Tiefe einer Kathedrale gab.

Daguerre starb in Bry-sur-Marne am 10. Juli 1851, im Augenblick wo die Photographie die von ihm gebahnten Wege verließ um sich in einem größeren Wirkungskreis auszubreiten. Ein bescheidenes Denkmal, das ihm die »Société des beaux-arts« auf dem kleinen Kirchhof des Orts errichtete, bezeichnet seine Ruhestätte.

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