Ludwig Pfau (1821-1894) · Briefedition
Datum: 23. 11. 1886
Adressat: Anna Spier
Stuttgart 23. Nov. 1886
Liebe Anna! Eigentlich sollte ich damit anfangen, Dir Vorwürfe zu machen über die schlechte Erfüllung Deiner Schreibepflichten, aber ich will großmüthig sein und thun, als ob
ich einen ordentlichen Brief von Dir erhalten hätten. Daß Dein Papa sich besser befindet, hat mich recht beruhigt und erfreut, denn Aufregungen scheinen mir eine geistige Nahrung zu sein, die gerade nicht zu Deiner Gesundheit beiträgt. Es war deshalb auch recht vernünftig von (( ... )), daß sie Dich erst von der Operation benachrichtigte, nachdem sie vorüber war, helfen hättest Du ja doch nicht können. Sie machte mirs auch so und schrieb mir ein paar Zeilen am Abend vor der Operation, die aber erst am andern Abend unternommen, nach dem dieselbe vollbracht war. Auch G. Weiß schrieb mir ein paar Zeilen. Hoffentlich nimmt alles einen guten Fortgang. Ich lege ein paar Zeilen für Gretel bei, ich möchte ihr auch einen Kuchen oder einige Früchte schicken, schreibe mir, was sie essen mag und darf.
Du wirst jetzt natürlich bei Gretel sitzen, so oft Du abkommen kannst, so viel es der Arzt erlaubt.
Was mich betrifft, so geht alles seinen gewohnten Gang, ich stecke tief in der Arbeit, komme nicht viel aus und bleibe gewöhnlich bis Abend 8 oder halb 9 Uhr am Schreibtisch sitzen - bis mich meine Augen ermahnen aufzuhören.
Isolde Kurz, die in dem ihr ungewohnten Klima (sie lebt gewöhnlich in Florenz) viel an Kopfweh leidet, wird wohl nicht mehr lang hier bleiben, und ich werde sie daher schwerlich nach Frankfurt schicken können, da (( ... )) auch unter den jetzigen Umständen (( ... )) wahrscheinlich nur beschwerlich (( ... )) . Sie hat hübsche Zeichnungen (( ... )) zu Gedichten, von einem (( ... )) verstorbenen Freunde, (( ... )) ihr sehr zu Herzen geht, (( ... )) und sucht deren Herausgabe zu bewerkstelligen, was seine Schwierigkeiten hat.
Die Frankfurter Stoltzefeier scheint ja recht glänzend verlaufen zu sein, warst Du auch bei den 1.500 im Palmengarten? Es hat mich recht gefreut für den Stoltze, und ebenso sehr für die Frankfurter, daß sie einer solchen Aufrüttlung aus dem geistigen Schlunmer noch fähig sind.
Heute Abend gehe ich zu einer Partie Domino zu viert, einem sogenannten 'Vierspänner'. Da ging ich freilich lieber zu einem Zweispänner in eine gewisse Straße einer gewissen Stadt;
aber obwohl ein Pfau, bin ich doch kein ›Vöglein‹. »Weils aber nit kann sein, bleib ich noch hier" und schicke Dir die schönnsten Grüße ...
Dir und den Deinen.
Von Herzen
Dein L .P.
Quelle: Deutsches Literaturarchiv Marbach a. N.
Best.: A: Pfau - o.Nr. -
Transkription: © 1983 Dr. Reinald Ullmann
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