Ludwig Pfau (1821-1894) · Briefedition


Datum: 14. 5. 1887
Adressat: Anna Spier


Stuttgart 14/5. 87

Liebe Anna!

Diesmal hast auch Du lange auf einen Brief warten müssen ( ... )

Dein letzter Brief war übrigens recht brav und gab eine klare Idee von Deinem Brüsseler Leben und der dortigen Sippschaft. Es mögen recht brave Leute sein, aber die Frömmigkeit
ist bei ihnen doch zu bodenlos. Sie leben in einem ganz anderen Gedanken- und Anschauungskreis, und ich habe bei solchen Leuten immer Angst, ihr lichtfeindlicher Irrthum explodire einmal plötzlich, wenn man ihm mit einem Zündhölzchen der Wahrheitsschachtel nahe kommt, und nehme die Herzlichkeit mit in die Luft. Zwischen den vernünftigen Anforderungen eines gesunden Diesseits immer die mit Furcht und Hoffnung operirenden Bewegungsgründe eines gespenstischen Jenseits zu spüren, hat etwas Unheimliches. Es ist einem wie in einer Gesellschaft von Nachtwandlern.

( ... )

( ... ); aber wir können halt nicht unter der Glasglocke hervor, die das Schicksal über uns gestülpt hat, ohne sie zu zerschlagen, und das ist so eine Sache, wenn man keine Glashütten
hat.

Herzlichste Grüße v.
                            Deinem L. P…


Quelle: Deutsches Literaturarchiv Marbach a. N.
Best.: A: Pfau - o.Nr. -
Transkription: © 1983 Dr. Reinald Ullmann


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