Ludwig Pfau (1821-1894) · Briefedition


Datum: 17. 1. 1894
Adressat: Ida Schlesinger


Stuttgart 17. Jan. 1894

Lieber Racker!

Gewiß hatte ich einen rechten Grimm auf Dich, um so mehr, als ich mich den ganzen Tag auf Dein Kommen gefreut hatte, und der Wortbruch bei Dir eine Gewohnheitssünde ist. Daß Du diesmal noch andere Abhaltungsgründe hattest als die böse Gewohnheit, Dein Wort nicht zu halten, ist möglich, aber Du machst's ja immer so, und ich dachte, es wäre jetzt einmal Zeit, den siebenjährigen Krieg zu beendigen und zu einem ordentlichen Friedensschluß zu kommen.

Der Brief für Frau Spier lag in meiner Schublade und wartete auf Dich, ich lege Dir ihn bei (als nachgiebiger Esel, der ich bin) für den Fall, daß Du Deinen zweiten Besuch noch nicht gemacht hast.

Daß Du in einem weltenleeren Hause weilst, thut mir leid, und die Gleichgültigkeit, welche Du in Betreff dieses Mißstandes zur Schau trägst, scheint mir nicht ganz aufrichtig; daß die äußeren Angelegenheiten glänzend bestellt sind, ist ja recht hübsch, aber das Departement des Innern ist ohne ein paar verliebte Vettern, welche dem Racker den Hof machen, womöglich 'pour le bon motif', wie der Franzose sagt, doch nicht vollständig möblirt. Möchte der fehlende Vetter durch einen liebenswürdigen Nichtvetter ersetzt werden; denn wenn Du nicht ein Mannsbild zu (( ... )) hast, ist Dein Vergnügen doch kein vollständiges.

Fräulein ((Brisbois)) grüße recht schön von mir, und sie soll einmal auf ein paar Tage nach Stuttgart kommen. So lang kann sie ihre Bude wohl andern (( ... ))anvertrauen, sie hat ja auch sonst schon Reisen gemacht und zwar weit (( ... )). Es thut ihr auch gut, sich hie und da einmal auszuspannen.

Hier ist inzwischen nichts Besonderes passirt. Kunsthändler Schlesinger befindet sich noch immer in der Königstraße und trauert, daß jetzt sein Kunsttempel seiner schönsten Zierde beraubt ist. Wie die Juden unter den Weiden von Babylon sitzt er im Schatten seiner ((Lisa))wände und streckt die Hände nachschlagend gen Frankfurt, dieses moderne Babylon, und ruft: "O Töchterle, o Töchterle! warum hast du mich verlassen" Freund Schweizer aber tröstet ihn und sagt: "Komm, gehen wir zu ((Dippinger ))", und da sitzen sie dann an den Ufern des Euphrat und schwemmen ihren Kummer hinab. Die zwei noch übrigen Grazien aber tanzen wie die Mäuse, wenn die Katze fort ist.

Das alles aber darf Dich nicht ((umfechten)), lieber Racker; mach Dir vergnügte Tage, spanne Deine Flügel aus wie der Schmetterling, wenn er aus der Puppe bricht. Hoffentlich wird die gute Grit auch einen günstigen Einfluß auf Dich haben, und Du wirst gebessert zurückkommen. In dieser Hoffnung grüßt Dich herzlich

             Dein L. P.


Quelle: Deutsches Literaturarchiv Marbach a. N.
Best.: A: Pfau - Nr. 27.120 -
Transkription: © 1983 Dr. Reinald Ullmann


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