Ludwig Pfau (1821-1894) · Briefedition


Datum: 1. 12. 1851
Adressat: Karl Mayer


Mein lieber Mayer!

Was ich befürchtet hatte, traf ein. Die Luzerner Polizei schickte das beiliegende Schreiben an die Berner, die Berner an die Murtener und diese übergab mir dasselbe mit der freundlichen Einladung, eine anderweitige Luftveränderung zu machen, es sei denn, dass ich vom Freiburger Polizeidirektor eine Aufenthaltsbewilligung erlange. Wir waren demnach gestern in Freiburg, wo ich den Luzerner Brief mitnahm um einen Aufenthalt von nur 14 Tagen herauszuschlagen. Der Direktor aber, Castella heisst die Kanaille, hörte mich gar nicht an: Non non! sagte er, c'est impossible! pas une minute! und schlug mir die Thüre vor der Nase zu, der liebliche Demokrat! Gefälliger weise traf ich Ebersold auf seiner Reise nach Paris begleitet von Redakteur der Tribüne. Wir gingen in's Kaffee Schaller und verfassten dort eine Petition an den Staatsrath um eine 14 tägige Aufenthaltsbewilligung. Folly u. Andere, die ich aufsuchte waren alle nicht zu treffen. Meine Hoffnung auf die Eingabe hin vom Präfekten von Murten einen Aufschub zu erhalten schlug fehl. Diesen Morgen wurde ich eiligst citirt und zur sofortigen Abreise ermahnt. Auf meine Vorstellungen zeigte mir der Präfekt den Befehl, der ganz kurz heisst: je vous invite de le faire partir à la minute, en vous•fesant responsable ect. Während ich nun dies schreibe, ist Born in ein einsames Wirthshaus eine kleine halbe Stunde von hier, wo mir wahrscheinlich der Wirth Quartier gibt; dort werde ich denn hingehen als Arrestant. Diese ewige Hatze, weil ein Mensch nicht einen Fetzen Papier mit einem polizeilichen Stempel aufweisen kann, ist eigentl. so absurd, dass endlich sogar der Humor sich weigert, länger mitzuthun.

Aus dem Schreiben von Luzern ersiehst Du , dass sie an den Staatspapieren nergeln, was sie wahrscheinlich auch gethan hätten, wenn ich selbst nach Luzern wäre, u. worüber ich ihnen dann keine bestimmte Antwort hätte geben können. Was nun in der Beziehung zu machen ist, musst Da besser wissen als ich. Ob Du ohne Schaden und Unannehmlichkeit für Dich die Staatspapiere in anderes Papier verwandeln oder vielleicht durch Deponiren bei einem Dritten andere Werthe nach Luzern schicken kannst, weiss ich nicht, muthe dies auch nicht zu. Das Klügste scheint mir, man spielt jeu double u. gibt einmal eine petition an den Berner Regierungsrath ein. Ich lege sie deshalb bei, damit Du nach Deinem Ermessen verfahren kannst. Wolltest Du nicht mit dem Luzerner Brief zu Furrer gaben? Ich weiss zwar zum Voraus dass es nichts hilft, aber es wäre doch interessant die gänzliche Machtlosigkeit dieser Bundesregirung zu constatiren, die wie ein müder Gaul hinten angebunden der Staatscarosse der Cantonalsouveränität nachspringt. Ich glaube nicht, dass die Luzerner Regierung etwas von den Schritten bei der Berner erfahren wird. Nur müsste dann die Entschliessung nicht lange auf sich warten lassen, im Fall Du nämlich auf das Anerbieten von Luzern noch reflektirst. Ueber das hiesige Leben ist nicht viel zu sagen. Murten ist schrecklich u. ich wundere mich nicht mehr, dass Born so oft nach Bern kommt. Ausser Born u. Brunnemann habe ich bis jetzt mit zwei Menschen gesprochen, u. dass ist der Präfekt u. der Unterpräfekt. Einige Kneipen, triste Höhlen in welchen die ganze Gesellschaft Karten spielt. Wer nicht kartelt zählt nicht. Kurz! in ganz Murten ist kein einziges Domizil zu finden – was brauchen wir weiter Zeugnis, da hast Du schon die traurige Stufe von Kultur auf der Murten steht. Dazu kommt noch dass diese Menschen wahre Troglodyten sind. Jeder bei sich u. jeder für sich. Familienbesuche sind gar nicht Mode, selbst unter den Eingeborenen nicht. Insofern wird mir mein Arrestantenleben weniger sauer werden.

Soeben kommt Born zurück. Der Wirth will mich logiren.

Könntest Du vielleicht nicht von Humbert unter Anbieten einer Kaution Aufenthaltsbewilligung herausschlagen. Das wäre am Ende das Einfachste. Lebe nun wohl grüsse Deine Frau u. Reinstein. Viele Grüsse von Born und von Deinem

LPfau
Murten den 1. Dec 1851.

Briefe schickst Du natürlich unter Borns Adresse.

Ohne Adresse.


Historisches Institut der Universität Bern
Sign.: Flüchtlingsschrank, Slg. Näf
Original: Zentrales Staatsarchiv Potsdam
Sign.: NL Karl Mayer 90 Ma 3 P 12, Bl. 22-23
Transkription: © 1983 Dr. Reinald Ullmann


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