Ludwig Pfau (1821-1894) · Briefedition


Datum: 9. 6. 1853
Adressat: Karl Mayer


Lieber Mayer!

Wenn ich Dir erst heute schreibe, so ist diesmal weder Nachlässigkeit noch Bummelei schuld sondern ganz einfach der Umstand, dass ich Deinen Brief erst gestern erhielt. Einen Tag trug ihn ihn als brennendes Pechpflaster auf dem Herzen, ohne ihn zu öffnen. Die verspätete Ueberlieferung Deines Briefes kommt von meinem gänzlichen Verschwinden von der Oberfläche, so dass Kübler meinte, ich sei nach Amerika abgereist. Ein Bekannter von mir, der zufälliger Weise bei Kübler ass, sagte diesem, dass ich noch lebe u. brachte mir den Brief.

Was nun die leidigen 400 fr. betrifft, so ging die Sache einfach so: der Fabrikant, bei dem ich d. Broche bestellt hatte, zog die Verfertigung derselben über die Maassen hinaus. Ich wurde unterdessen wieder krank, so dass ich kaum ausgehen konnte u. 14 Tage lang nur von Kaffee lebte. Hartmann kam zu mir, kündigte mir den endlichen Verkauf unseres Buches an u. versicherte mich, dass wir in 2-3 Wochen das Geld bekommen werden. Das Manuskript war bei Dumont in Köln, der darum geschrieben hatte, u. Ferdinand Hiller, ein bekannter Componist, der jetzt als Direktor des Kölner Musikconservatoriums angestellt ist, war gerade damals nach Köln gereist u. hatte den Verkauf des Manuskripts bei Dumont, dem er persönlich befreundet ist übernommen. Er schrieb an Hartmann dass es Dumont verlege u. dass er bei seiner Zurückkunft nach Paris das Geld mitbringen werde. Unterdessen stiegen mir die Gläubiger auf den Hals. Ich war krank u. konnte nicht mehr existiren, wenn ich sie nicht einigermaßen befriedigte. Ich dachte, sei ja gleich, ob das Geld in meiner Schublade liegt, oder ob ich einstweilen mit bezahle, bis ich mein Honorar von Köln erhalte; bis dahin ist die Broche fertig u. ich bin wieder auf den Füssen u. kann die übrigen Aufträge besorgen. So ging das Geld fort u. als Hiller zurückkam, brachte er statt Geld die Weigerung des Verlegers mit, der ein Erzkatholik ist, u. dem die Anmerkungen zu den religiösen u. politischen Liedern zu ketzerisch waren. Das war ein Schlag in's Comptoir. Wir verloren aber den Muth. noch nicht u. Hartmann der bis jezt Alles gut verkauft hat, tröstete mich u. sagte, er werde bald einen andern Verleger haben. Man schrieb nun an Andere; aber ohne günstigen Erfolg dann kam das russisch-türkische Kriegsgeschrei auch noch dazu u. so haben wir bis auf die heutige Stunde unser Manuskript nicht verkauft. Hartmann hat vornehme Bekanntschaften und frisst sich durch. Ich bin nicht für die vornehmen Leute gemacht u. die Lumperei frisst mich durch.  Du. kannst Dir denken, in welche Lage ich kam. Die ganze Hoffnung war auf' den Verkauf des Manuskripts gebaut worauf wir viel Zeit verwendet hatten u. die eingebrockten 400 fr. reichten bei weitem nicht die Schulden zu decken, die mir der hiesige Aufenthalt auch bei dem mässigsten Leben aufgeladen hatte. Anfangs hoffte ich zwar immer noch auf günstige Erfolge u. auf die Ausgleichung der verdammten 400 fr. endlich aber sank mir der Muth u. ich hatte noch zu allem Elend ein böses Gewissen. Ich schrieb immer nicht, weil ich immer glaubte zugleich mit einem Briefe Dir Deine Sachen schicken zu können. u. weil ich nicht mit leeren Händen schreiben wollte u. so verging die Zeit. Da schrieb mir auch noch Reinach einen beleidigenden Brief, in Deiner Angelegenheit, den ich unter uns gesagt, wohl verdient hatte, den ich mir aber doch nicht gefallen liess; denn im Grunde gings ihn auch nichts an. Ich antwortete ihm deshalb kurz, grob und bündig u. brach mit ihm ab, bis er mir später wieder mehrere begütigende Briefe mit Freundschaftsversicherung schrieb, worauf ich mich wieder mit ihm einliess, obgleich ich noch immer auf dem qui vive mit ihm stehe; was auch nicht mehr anders werden wird.

Das ist diese traurige Geschichte. Sie hat mir einen wunden Fleck zurückgelassen, der nicht mehr heilen will, den sie hat mir sogar die Erinnerung an Dich vergiftet, weil mir jedesmal meine Sünde dabei einfällt. Ich kenne Dich u. weiss wohl, dass Du alle Worte verstehst wie ein Mensch u. dass Du mir zulezt wegen 400 fr. nicht den Hals brichst, aber es ist doch eine schwierige Geschichte, wenn man einem Freunde anvertrautes Geld verpuzt u. ich kann seit der Zeit keine Bijouteriewaaren mehr ansehen.

Ich hatte nun noch vorräthige Zeichnungen u. Notizen, die ich in der Zeit gesammelt hatte, als Dein Geld noch in meiner Schublade lag. Aber auch die konnte ich Dir nicht mehr schicken, weil mich endlich mein Hausbesitzer vor die Thüre gesezt u. mir meine Effekten zurückbehalten hatte, worunter ausser meinen Papieren auch die Kleider, zu deren Bezahlung ich einen Theil der 400 fr. verwendet hatte. Denn Du kannst Dir nach dem Zustande der Garderobe, mit der ich Bern verliess, denken, wie abgerissen ich war, u. wie unumgänglich nothwendig ich Kleider haben musste.

Dein Brief zeigt mir. dass Du immer noch der alte ordentliche Kerl bist, u. es ist mir im Grunde lieber als der in welchem die 400 fr. waren, obwohl ich damals nothwendig Geld brauchen konnte. Sei eben nicht böse dass es so gegangen ist, Du bist doch besser daran, denn es thut Deinem Beutel noch lange nicht so weh als meinem Herzen. Was Deinen Schwiegervater betrifft, so thut mirs leid, dass Du wegen Mir Unannehmlichkeiten gehabt hast, aber ich denke Du hättest auch Händel mit ihm bekommen ohne mich. Nur wird er nicht ermangeln, die Geschichte zu verträtschen u. in Stuttgart werden sie jezt mehr über mich schimpfen als je. Meinetwegen, ich geh doch noch nach Amerika, denn das Leben wird mir alle Tage verdriesslicher. Es ist rein Nichte anzufangen. Schon vor 3/4 Jahren habe ich interessante Mittheilungen über celtische Volkslieder durch H. Kurz an das Morgenblatt geschickt. Hauff lobte sie sehr u. versprach sie abzudrucken, hat es aber auf die heutige Stunde nicht gethan, weil er von Flüchtlingen Nichts aufnehmen will. Derartige Beispiele könnte ich noch mehr anführen, aber was hilft das Heulen.

Sodann hatte ich troz des verunglückten Manuskripts einen Roman angefangen, der Schulmeister von Neckargartach, den ich ganz fertig im Kopfe habe u. dessen geschriebene Theile den hiesigen Freunden sehr wohl gefielen. Unterdessen warf mich aber der Philister zum Haus hinaus u. behält mein Geschreibsel. So zog ich mich in eine Gutta-Percha-Fabrik zurück wo ich gegenwärtig Kalender mache, ein Geschäft auf das ich mich während meines Aufenthalts in der Schweiz hinlänglich vorbereitet habe.

Diese Gutta-Percha-Fabrik ist eine Association von drei Deutschen, wovon der eine ein Bildhauer u. alter Freund von mir aus Stuttgart (Kopp) der andere ein ehemaliger Advokat u. Flüchtling aus der Pfalz (Hammel)der Dritte ein Badenser u. ehemaliger Freischärler obwohl nicht Flüchtling. Meine Spezialität ist d .immerwährenden Kalender zu fabriziren, wobei ich wohl nicht viel verdiene, aber doch Kost und Logis. Die Fabrik wirft freilich nicht viel ab u. wir leben alle 4 zusammen wie wenn ich auch assocoirt wäre, ohne dass ich deshalb Grund hätte die Herren Principale zu beneiden, denn die schlagen auch gerade ihre Haut durch.

Du siehst es ist mir unmöglich zu einer erfreulichen geistigen Thätigkeit zu kommen u. wenn ich doch den Hausknecht machen soll geh ich zulezt lieber nach Amerika. Wenn nur mein Vater nicht gestorben wäre. Da :fällt mir ein, dass ich Dir mein (wahrscheinlich in doppelter Beziehung) leztes Gedicht beilegen will, das ich dem Andenken des alten Pfau widmete.

Dass es mit Deinem Geschäft nicht besser geht thut mir leid. Wenn Du lieber hieher wärest, hier existiren eine Unmasse von Goldwaarenfabriken, welche für die Exportation arbeiten u. die alle gute Geschäfte machen, trotz dem hiesigen Goldstempel. Hammel et Comp. verbinden zugl. ein Commissionsgeschäft mit ihrer Fabrik, u. da habe ich häufig Gelegenheit Ausgänge zu machen, bei den verschiedenen Fabrikanten u. überhaupt im Commerce herumzukommen u. da hab ich gefunden. dass eben viel auf den Markt ankommt, oft mehr als auf das etwas wohlfeilere oder theurere Fabrizieren. Du könntest vielleicht doch von hier aus verkaufen. Ueber dies u. sonstiges Geschäftliche will ich Dir in meinem nächsten Briefe mehr schreiben, sobald ich einen geschickten Goldarbeiter aufgetrieben habe, denn da ich Deinen Brief so lange nicht erhielt, wollte ich die Antwort nicht langer verschieben u. wenigstens Appel geben. Lebe nun wohl. Grüsse Deine Frau u. Deine Möppel bestens so wie Dich herzlich grüßt Dein

LP.

Dein nächster Brief wird durch die alte Adresse schneller gehen, weil man jetzt von meinem Hiersein wieder in Kenntnis gesezt ist.

Ohne Adresse.


Historisches Institut der Universität Bern
Sign.: Flüchtlingsschrank, Slg. Näf
Original: Zentrales Staatsarchiv Potsdam
Sign.: NL Karl Mayer 90 Ma 3 P 12, Bl. 24-25
Transkription: © 1983 Dr. Reinald Ullmann


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