Ludwig Pfau (1821-1894) · Briefedition
Datum: 15. 11. 1879
Adressat: Theobald Kerner
Paris, den 15. Nov. 1879
30.Rue de l'Entrepôt
Lieber Freund!
Dein Buch hat mir eine rechte Freude gemacht; solch ein Gruß aus der Heimath thut Einem in der Fremde doppelt wohl. Ich hab es auch gleich durchgelesen und neben manchen alten Bekannten allerhand Neues unter den frischen Linden gefunden. Der prosaische Theil war mir größtentheils unbekannt und überraschte mich durch den natürlich volksthümlichen Ton und den einfachen, trefflichen Stil. Ich werde wohl irgendwo Gelegenheit finden, etwas darüber zu sagen. Ich habe nur sehr wenig publizistische Verbindungen und icj stehe augenblicklich mit der "Frkf. Ztg." auf einem etwas gespannten Fuße. Drei meiner Feuilletons warten dort schon seit geraumer Zeit auf den Setzer. Sie ist, trotz tüchtiger politischer Führung, vor allem "Handelsblatt", d.h. -unter uns gesagt - ein Blatt von und für Juden.
Was meinen Bruder betrifft, so war er von jeher ein (( Schwingfelder oder Schreinfelder oder Schaumfelder )); seine Freunde hießen ihn nur den Baron, und ein solcher ist auch an ihm verlorengegangen. Der romantische Blutstropfen der (( Race )), der mir in die Phantasie fiel, ist ihm in den Charakter gefahren: er ist wirklich ein Rad schlagender Pfau, und der Schein galt ihm immer mehr als das Sein. Von der Naivität seiner selbstsüchtigen Eitelkeit gibt seine Anklage meiner "mangelhaften" Brüderlichkeit das beste Zeugniß. Er, der, mit dem Hoch und Nieder der amerikanischen Existen/z/ öfter in Saus und Braus lebte, hat sich nie um die Schwester bekümmert, während ich sie, sobald es nur möglich war, nach Paris kommen ließ, ein Jahr lang bei mir behielt und sie dann in die Familie Ollivier - als Emil noch Republikaner war - unterbrachte, weil sie bei mir nur deutsch sprechen und nicht französisch lernen wollte. Seitdem hab ich manches hundert Mark für sie ausgegeben, und oft mehr, als meine Verhältnisse gestatteten. Im Augenblicke kann ich freilich nichts für sie thun; es sind dies eben Verhältnisse, wie sie bei Leuten, die von der Feder leben und keine Handwerksliteraten sind, zu Zeiten vorzukommen pflegen. Im übrigen ist sie in einer Familie thätig, wo sie ihr Auskommen hat, und muß sich eben, wie andere unbemittelte Mädchen, inzwischen bei fremden Leuten behelfen. Es wäre niemand lieber als mir, wenn ich ihr das angenehmste Dasein bereiten könnte.
Das verschleierte Bild Sais habe ich gleichfalls mit Wohlgefallen in Empfang genommen und hätte dasselbe auch ohne den Namen auf der Rückseite zu enthüllen gewußt. Deiner Frau für
dieses Lebenszeichen-sövvie für ihre freundliche Erinnerung meinen besten Dank; ich wünsche dem Orginal des Bildes, daß es so fortfahren möge, "les injures de temps" - wie das der galante Franzose heißt - siegreich von sich abzuwehren.
Was die politischen Zustände betrifft, so sind sie weit weniger kritisch, als sie sich in der Ferne ausnehmen mögen, namentlich in Deutschland, wo die offizielle Presse das mot d'ordre zu
haben scheint, das rothe Gespenst etwas tanzen zu lassen, weil der östreichischen Allianz Bismarcks nirgends Mißtrauen in den Bestand der französischen Dinge zu Statten kommt. Es ist hier durchaus keine ernstliche Krisis in Sicht und die Republik wackelt nicht im geringsten. Das alles sind nur Wellen auf der Oberfläche. Dagegen will mir scheinen, daß sich die deutschen Verhältnisse nicht nur aus der Ferne kunterbunt ausnehmen.
Nun lebe wohl! Meinen Dank für Deine Sendung und die herzlichsten Grüße an Dich und Deine Frau
von
Deinem
L. Pfau
Deutsches Literaturarchiv Marbach
Sign.: A: Th. Kerner
Nr.: 17.487
Transkription: © 1983 Dr. Reinald Ullmann
Erläuterungen:
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