Ludwig Pfau

Die Heliographie.


 

[2:] Photographie auf Metall von Daguerre.

Während der einsame Niepce in seinem stillen Hause am Ufer der Saône vergeblich sich abmühte die Photographie in’s Leben zu rufen, beschäftigte sich in Paris ein Maler, der schon anderweitige Proben von Geschicklichkeit abgelegt hatte, mit derselben Idee. Dieser Maler hieß Louis Jaques Mandé  D a g u e r r e .  Im Jahre 1787 zu Cormeilles, einem Dorfe in der Umgegend von Paris, geboren, war er in jener bewegten Zeit aufgewachsen welche dem Unterricht der Jugend keine große Aufmerksamkeit zuwandte. Seine Neigung zur Malerei und seine Vorliebe für Darstellung von Perspektivwirkungen und Beleuchtungseffekten führte ihn in die Werkstätte Degotti’s, welcher die Dekorationen für die Große Oper auszuführen hatte. Der Meister überzeugte sich bald von den glücklichen Anlagen seines Schülers. Die Theatermalerei befand sich damals noch in einem Zustande der Kindheit und begnügte sich mit einer gewissen handwerksmäßigen Regelrichtigkeit der Zeichnung und Färbung; aber Daguerre suchte sofort, durch reichere Entfaltung der dekorativen Kombinationen und durch stimmungsvollere Abwechslung von Licht und Schatten, Leben und Mannichfaltigkeit in den alten Schlendrian einzuführen. Er zuerst setzte an die Stelle der einförmigen Koulissenrahmen große, mit gewissenhaftem Studium gemalte Mittelstücke und Versatzstücke, welche durch eine kunstreiche und wohlberechnete Bühnenbeleuchtung ihre Wirkung verdoppelten. In einem der Boulevardtheater, im Ambigu-Comique, zeigte sich Daguerre zum erstenmale als ein Dekorationsmaler ersten Rangs. Sein beweglicher Mond im »Traum«, seine drehende Sonne in der »Wunderlampe«, sein Nachteffekt im »Vampyr«, seine Dekorationen im »Calas«, in den »Makkabäern« &c. brachten eine wahre Umwälzung in der Theatermalerei hervor.

Aber Daguerre suchte nun die höchsten Leistungen der Gattung zu verwirklichen und die Dekorationsmalerei, ohne Hilfe des Theaters, in ihrem selbstständigen Glanze vorzuführen. Er verband sich mit einem Maler Namens Bouton der, heute vergessen, eine zeitlang der Nebenbuhler von Horace Vernet war, und beide erfanden ein noch nie dagewesenes Schauwerk das, im Juli 1822 eröffnet, mehrere Jahre lang die allgemeine Bewunderung auf sich zog. Dieses, D i o r a m a genannt, bestand aus ungeheuren Bildern von vortrefflicher Ausführung und merkwürdiger Naturwahrheit. Aber solch wesentlicher Vorzug war nicht die Hauptsache; das besondere Interesse und die Neuheit des Schauspiels bestand vielmehr in der stufenweisen Veränderung der Szenen, die vor den Augen des Zuschauers sich verwandelten, ohne daß dieser den eigentlichen Hergang dieser Umschmelzung wahrzunehmen vermochte.

Man sah z. B.  d a s  T h a l  v o n  G o l d a u :  der liebliche See ruht leuchtend am Fuße des dunklen Gebirgs, die letzten Häuser des Dorfes spiegeln sich lustig in der klaren Fläche, und der durchblickende Aether lacht im freundlichsten Blau. Aber schon verdüstert sich der Himmel, Wolkenschatten bedecken die Gegend, und plötzlich setzt der Berg sich in Bewegung, stürzt über das unglückliche Dorf und begräbt die Hälfte des Sees unter seinen Trümmern. Am Platze des friedlichen, heitern Lebens, das eben vor Augen stand, zeigt sich nun das traurige Schauspiel der Zerstörung:  d e r  B e r g s t u r z  v o n  G o l d a u .  Oder man sah  d a s  I n n e r e  d e r  P e t e r s k i r c h e : die Tageshelle fällt durch die hohen Fenster, und im Schatten der riesigen Pfeiler weilen einzelne Besucher. Allmälig neigt sich der Tag und die Kirche hüllt sich in immer tieferes Dunkel. Plötzlich entzündet sich eine Kerze, dann mehrere, dann ganze Kronleuchter, der Altar bevölkert sich mit Priestern, die Kirche füllt sich mit Betern und die pomphafte Feier der  M e s s e  u m  M i t t e r n a c h t  erscheint in vollem Lichterglanz.

Das Geheimniß des Wunderwerks bestand, kurz gesagt, darin daß die zwei sich ablösenden Szenen auf die beiden Seiten derselben Leinwand gemalt, und bald von vorn, bald von hinten beleuchtet waren, wodurch sie abwechslungsweise sichtbar und unsichtbar wurden. Dies erklärt den Vorgang im allgemeinen; aber immerhin bedurfte es einer großen Geschicklichkeit und Gewandtheit in Anwendung des Verfahrens um eine so vollständige Wirkung hervorzubringen. Für’s erste war natürlich die Leinwand fein und durchsichtig; die hellere Szene wurde auf die Vorderseite mit Lasurfarben und mit so wenig Auftrag als möglich gemalt, auf der Rückseite wurde die dunklere Szene zuerst mit durchsichtigem Weiß und Grau modellirt und in Effekt gesetzt, um den Widerspruch da auszugleichen wo etwa eine dunkle Stelle des vorderen Gemäldes mit einer hellen des hinteren zusammentraf; dann wurde das Rückbild mit leichten Lasuren kolorirt. Der Wechsel der Beleuchtung ging vor sich ohne daß der Zuschauer eine Ahnung davon hatte, da das vordere Licht durch einen Spiegel von oben eingeworfen wurde und unbemerkt verschwinden konnte, während das hintere horizontal einfiel. Die Beleuchtung war genau regulirt, so daß man sie beliebig stärker und schwächer machen, einseitig, oder von beiden Seiten zugleich, oder auch nur auf einzelne Punkte wirken lassen konnte. Die Anwendung farbiger Gläser vermehrte noch die Mannichfaltigkeit der Wirkungsmittel.

Zu gewissen Beleuchtungsstudien für sein Diorama bediente sich Daguerre der Camera obscura, und beim Anblick der reizenden Gemälde die auf dem mattgeschliffenen Glase entstanden, rief er mehr als einmal aus: »Wird es denn nie gelingen solch wundervolle Bilder festzuhalten!« Dieser oft gehegte Wunsch – um so verführerischer je unmöglicher die Verwirklichung schien – bemächtigte sich mehr und mehr seiner Einbildungskraft, und bald verwandte er jeden freien Augenblick auf das Studium derjenigen physischen und chemischen Prozesse die geeignet sein konnten dem Bilde der dunklen Kammer eine materielle Dauer zu verleihen. Seine Versuche führten ihn in die Werkstätte des bekannten Optikers auf dem Quai de l’Horloge, Charles Chevalier, und es verging selten eine Woche, ohne daß er daselbst erschien um über die Konstruktion der Camera obscura, die Form der Gläser, die Reinheit der Bilder und ähnliche Fragen eine Unterhaltung anzuknüpfen.

Inzwischen hatte sich Niepce durch einen in Paris wohnenden Verwandten an Chevalier wegen einer neuen Camera gewendet, und der Optiker sagte eines Tages zu Daguerre: »Sie sind nicht der einzige der den Stein der Weisen sucht; ein Gutsbesitzer in der Nähe von Châlon-sur-Saône, Herr Nicéphore Niepce, schmeichelt sich sogar einige Erfolge in der Lichtbildnerei erzielt zu haben, und Sie würden vielleicht gut thun mit ihm in Verbindung zu treten.«

Nach einigem Zaudern schrieb der Pariser Lichtbändiger zu Anfang des Jahres 1826 an seinen Mitbruder in luce nach Châlon. Niepce antwortete mit großer Zurückhaltung, und es verging ein Jahr, bevor Daguerre zu einem zweiten Briefe sich entschloß. Auch diesmal waren die Beziehungen keine sehr lebhaften geworden, als Niepce 1827, durch die Krankheit seines Bruders nach England gerufen und in Paris aufgehalten, Daguerre’s persönliche Bekanntschaft machte. Jetzt entspann sich ein ununterbrochener Briefwechsel zwischen beiden, der schließlich eine Association zu Stande brachte. Ende 1829 reiste Daguerre nach Châlon und schloß mit Niepce einen Vertrag zu gemeinschaftlicher Fortsetzung und Ausbeutung ihrer Arbeiten und Entdeckungen. Freilich kann man sich nicht verhehlen daß die beiden Kontrahenten diese Entdeckungen noch zu machen hatten, denn trotz vielfacher und langwieriger Versuche war das Beibringen Daguerre’s gleich Null und die Beisteuer Nicéphore's nicht viel größer.

Die beiden Associés beschäftigten sich nun, jeder seinerseits, mit Vervollkommnung der Heliographie, die deren sehr nöthig hatte; und Daguerre stürzte sich, mit dem Eifer der ihm eigen war, in die neuen Versuche. Er schloß sich in sein Laboratorium, studirte Chemie, lebte zwei Jahre lang nur noch zwischen Büchern, Tiegeln und Kolben, und war beinahe unsichtbar geworden. Endlich im Jahre 1831 machte er jene Entdeckung welche die Grundlage des Daguerreotyps wurde: die Wirkung des Lichts auf das Jodsilber. Wie es so häufig mit Erfindungen geht – was dem Suchenden die mühsamsten Forschungen versagten, das gewährt ihm ein günstiger Zufall.

Der Versuch die Lichtbilder in druckbare Platten umzuätzen, war von Niepce, dessen Verfahren allzu primitiv blieb um brauchbare Resultate zu liefern, schließlich aufgegeben worden. Er begnügte sich nun auf Zinnplatten oder silberplattirten Kupfertafeln einmalige Lichtabdrücke hervorzubringen, bei welchen das lichtgetränkte Harz die hellen Theile des Gegenstands, der metallene Grund die dunklen Partien darstellte. Da dieser Grund nicht dunkel genug war um einen kräftigen Kontrast mit dem Harze zu bilden, so suchte Niepce denselben zu schwärzen, wozu er sich des Schwefelkalis bediente. Auch das Jod suchte er zu solchem Zwecke zu verwenden, und obwol dieser Gebrauch des Jods nicht besonders sachgemäß erscheint, so wurde er doch die erste Ursache von Daguerre’s Erfindung. Eines Tags hatte der eifrige Maler auf einer jodirten Silberplatte aus Versehen einen Löffel liegen lassen, und war ganz erstaunt die Zeichnung desselben auf der Metallfläche zu finden. Der Löffel hatte die unter ihm liegende Stelle vor der Einwirkung des Lichts geschützt, und so war die Silhouette entstanden. Das war ein Lichtstrahl in Daguerre’s heliographische Finsterniß.

Er theilte dieses Ereigniß alsbald seinem Associé in Châlon mit und operirte von nun an mit Jodsilber statt mit Erdharz. Aber wenn Daguerre kein Glück mit dem Erdharz hatte, so erklärte nun Niepce seinerseits daß er mir dem Jodsilber vielfache Versuche gemacht habe und daß mit demselben nichts anzufangen sei. In der That datirt auch die Photographie eigentlich nur von dem Augenblicke wo Daguerre das Entwickeln entdeckte, welches die chemische Wirkung des Lichts erst sichtbar macht und so das vorher unsichtbare Bild hervorruft. Diese Verwirklichung seines Traums zu erleben, war Niepce nicht vergönnt; er starb plötzlich an einem Hirnschlag, 69 Jahre alt, anno 1833.

Zuerst brachte Daguerre das Erdharzbild durch einen Entwickler noch zu einigen Ehren, indem er es der Verdunstung des Petroleums aussetzte. Dieses durchdringt die Harzsubstanz in den unbelichteten Theilen und gibt ihnen eine vollständige Durchsichtigkeit, während die vom Lichte betroffenen Stellen vom Petroleumdunst nicht angegriffen werden. Aber obwohl jene Bilder durch dieses Verfahren bedeutend gewonnen hatten, so war das Erdöl doch ein Entwickler von geringer Kraft, verglichen mit einer anderen Substanz die Daguerre jetzt anwenden lernte und die erstaunliche Resultate ergab: es ist dies der Merkur, dessen Dämpfe das Lichtbild auf der jodirten Silberplatte mit aller Schärfe und Feinheit hervorrufen.

Den Bestimmungen des Vertrags gemäß war an die Stelle Nicéphore’s der Sohn, Isidor Niepce, getreten, und als im Jahre 1837 das Verfahren Daguerre’s reif zur Ausbeutung schien, traf der Erfinder mit dem Rechtsnachfolger des alten Nicéphore ein neues Uebereinkommen, demgemäß er der Gesellschaft Daguerre-Niepce seine Erfindung überließ unter der Bedingung daß sie seinen Namen führe. Dieselbe sollte vermittelst Ausgabe von Aktien nutzbar gemacht werden. Die Subskription wurde in der That am 15. März 1838 eröffnet, hatte aber keinen Erfolg. Man entschloß sich daher das Verfahren an die Regierung zu verkaufen, was in jeder Beziehung als der einzig praktische Weg erschien. Denn einmal war es unmöglich eine derartige Erfindung durch ein Patent zu schützen, und im übrigen konnte sie nur dann ihre Früchte tragen wenn sie der Oeffentlichkeit anheimfiel.

Daguerre wandte sich nun an Arago, dem er unter dem Siegel der Verschwiegenheit sein Verfahren mittheilte. Der berühmte Astronom war entzückt von den vorgelegten Proben, und namentlich von der Schnelligkeit mit welcher die Merkurdämpfe das noch unsichtbare Bild auf der jodirten Silberplatte hervorriefen. Er machte sich zum eifrigen Fürsprecher der neuen Erfindung und vermittelte die Unterhandlungen Daguerre's mit der Regierung. Diese legte der Kammer einen Gesetzesentwurf vor welcher für Daguerre 6000 und für Niepce 4000 Franken Jahrgehalt forderte, wovon die Hälfte eventuell auf die Witwen der Betreffenden übergehen sollte. Wenn man die Summen bedenkt die von unnützen Staatsschmarotzern verschlungen werden, so erscheint diese »Nationalbelohnung« geringfügig im Vergleich zur Wichtigkeit der Entdeckung. Arago war Berichterstatter, und der Entwurf wurde in der Sitzung vom 3. Juli 1839 ohne Debatte durch Zuruf angenommen. Dasselbe geschah in der Pairskammer, wo Gay-Lussac seinen Bericht am 30. Juli desselben Jahrs erstattete. Nach Verkündigung des betreffenden Gesetzes stand der Veröffentlichung des Verfahrens, das den Namen Daguerreotyp erhielt, nichts mehr im Wege. Arago, in seiner Eigenschaft als Sekretär der Akademie der Wissenschaften, machte der versammelten Akademie die Mittheilung der neuen Erfindung am 19. August 1839. Geben wir eine kurzgefaßte Zusammenstellung des Verfahrens.

Die photographischen Bilder Daguerre’s werden auf Metall, und zwar auf einer silberplattirten oder versilberten Kupferplatte hervorgebracht. Man setzt die wohlpolirte Silberfläche während einiger Minuten den Dämpfen aus welche das Jod bei gewöhnlicher Temperatur von selbst entwickelt. Durch die Verbindung der Dämpfe mit dem Metalle bildet sich auf der Platte eine dünne Schichte von Jodsilber, welche für die Einwirkungen des Lichts außerordentlich empfindlich ist. Die jodirte Platte wird nun in die Camera obscura gebracht, wo sie das von der Glaslinse hineingeworfene Bild empfängt. Das Licht hat die Eigenschaft das Jodsilber zu zersetzen, was denn auch auf den hellen Stellen des Bildes geschieht, während die dunklen keine Veränderung erleiden. Die Stellen im Halbschatten werden je nach dem Grade der Beleuchtung mehr oder weniger verändert. Wenn man die Platte aus dem Dunkelkasten nimmt, zeigt sie noch kein sichtbares Bild auf ihrer gleichmäßig goldfarbigen Fläche. Um das Bild hervorzurufen, ist eine weitere Operation nöthig – die Entwicklung, und diese wird bewirkt indem man die Platte den Quecksilberdämpfen aussetzt. Man bringt sie zu dem Ende in einen kleinen Kasten mit einem Behälter den man mit Merkur füllt und vermittelst einer Spirituslampe leicht erwärmt. Die Quecksilberdämpfe schlagen sich auf die Metallfläche nieder, aber mit einer Ungleichmäßigkeit durch welche eben das Bild entsteht. Sie haften nämlich blos an den vom Lichte getroffenen Stellen, wo das Jodsilber zersetzt wurde; die im Schatten gebliebenen Partien nehmen keinen Merkur auf, und die Mitteltöne nur in dem Maße ihrer durch die stärkere oder schwächere Beleuchtung verursachten Zersetzung. Das Bild wird also durch einen feinen Anhauch von Quecksilber auf der Silberfläche erzeugt, und zwar so, daß die Lichter aus dem hellen Merkurniederschlage, die Schatten aus dem dunkelpolirten Silbergrunde bestehen. Damit ist jedoch die Operation nicht beendigt; es bleibt noch Jodsilber auf der Platte übrig, das unter dem Einflusse des Lichtes nachdunkeln und die Zeichnung zerstören würde. Man taucht sie deßhalb in ein Bad von unterschwefligsaurem Natron, welches das unzersetzte Jodsilber auflöst und von der Platte entfernt. Jetzt kann man das Bild ohne Gefahr in das kräftigte Licht bringen.

Mit Arago’s Bericht in der Akademie war nun das Verfahren Daguerre’s in die Oeffentlichkeit getreten, die sich alsbald desselben bemächtigte um mehrere wichtige Verbesserungen hinzuzufügen.

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