Ludwig Pfau (1821-1894)

Loreleis Ende.

O weh! Herr Gunther schifft vorbei
Am bösen Felsgesteine,
Und oben sitzt die schöne Fei,
Sie blickt hinab zum Rheine.

Es lacht und glüht ihr schwellender Mund,
Sie singt, die Zauberinne:
»Der Rhein, der Rhein ist ohne Grund,
Doch tiefer noch ist die Minne.«

Ihr Auge glänzt mit lockendem Schein,
Sie trillert immer prächt'ger:
»Wildreißend ist der Rhein, der Rhein –
Die Liebe, die Lieb' ist mächt'ger!"

Er lauscht empor, er starrt hinan –
So helf' dir Gott, Herr Gunther!
Ein Blick, ein Schrei – da bricht der Kahn,
Da zieht ihn die Flut hinunter.

Herr Gunthers Blick in letzter Qual,
Er drang ihr tief zu Herzen;
Die Lorelei fühlt zum erstenmal
Der Liebe Schauder und Schmerzen.

In letzter Not Herr Gunthers Schrei,
Er ging ihr durch Mark und Beine;
Sie springt empor, die Lorelei,
Erschrocken, daß sie weine.

Sie rauft ihr Haar, sie schlägt die Brust,
Geschüttelt vom Gift der Minne –:
»O sonnige, wonnige Liebeslust,
Nie werd' ich deiner inne!

Mein schwellender Mund ist eitel Tod,
Mein Singen ist Verderben;
Und wem mein Auge lockt und loht,
Der muß versinken und sterben.

Ich fluche dem Felsen, ich fluche dem Rhein,
Dem ewigen Wellengewimmel;
Ich fluche dem Sonn- und dem Mondenschein
Und allen Sternen im Himmel!

Ich fluch' auch dir, du dunkle Macht,
Du unglückselige Minne!
Den Schiffern hast du den Tod gebracht
Und mir zerwühlt die Sinne.«

Es rauscht ihr Haar und ihr Gewand
In Lüften, losgebunden;
Sie stürzt sich von dem Felsenrand,
Sie ist im Rhein verschwunden.

Horch! wie's in den Wellen singt und klingt,
Ein Klagen und Liebewerben -
Das ist die Minne, die sehnt und ringt,
Nicht leben kann und nicht sterben.


Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. [169]-170.
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