Ludwig Pfau (1821-1894)

Der rote Hahn.

Die Fahnen schrillen, es pfeift der Sturm,
Der braune Hauptmann sitzt im Turm.
Sie wollen ihn hängen die nächste Nacht,
Doch der Zigeuner singt und lacht:
»Kikereküh! du roter Hahn!

Ihr sollt mir nicht krümmen ein Haar zu Leid,
Ihr sollt mir nicht rühren ein' Falt' am Kleid;
Ich setz' euch den Rat und den Henker in Ruh',
Verbrenn' euch den Strick und den Galgen dazu:
Kikereküh! du roter Hahn!

Auf Häuser stolz und Giebel gäh
Hui! schwing dich hinan, hinauf und kräh!
Mit Flügeln schlag einen glühenden Reif,
Die Dächer peitsch mit feurigem Schweif:
Kikereküh! du roter Hahn!«

Da klettert die Flamme durch Thür und Thor
An allen vier Ecken der Stadt empor;
Die Glocken heulen von Turm zu Turm,
Der kecke Zigeuner kräht in den Sturm:
Kikereküh! du roter Hahn!

Willkommen du lieber, feuriger Gast!
Der hoch in den Lüften schwelgt und praßt;
Du bist dem Zigeuner freundlich gesellt,
Wir jauchzen allbeid' so frei durch die Welt:
Kikereküh! du roter Hahn!"

Und Giebel um Giebel fällt und kracht,
Es flieht der Rat, es flieht die Wacht;
Bald wird der Turm des Feuers Raub,
Da macht der Zigeuner sich aus dem Staub.
Kikereküh!du roter Hahn.

Und als er war durchs brennende Thor,
Steht er noch einmal still davor –:
»Du Brut! das war mein Henkerschmaus,
Jetzt bau dir neu dein Schneckenhaus:
Kikereküh! du roter Hahn!«


Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. 220-221.
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