Ludwig Pfau (1821-1894)

Die deutschen Flüchtlinge.

1847.

Aus Deutschland zieht nach allen Wegen
Von stolzen Bettlern eine Schar;
Ihr bleiches Antlitz schlägt der Regen,
Der Sturmwind wühlt in ihrem Haar.
Sie tragen ihres Volkes Qualen
Im Herzen tief, ein traurig Bild;
Doch ihre hohen Stirnen strahlen –
O seid den deutschen Bcttlern mild!

Vom Born der Heimat ausgestoßen,
Geworfen an den nackten Strand,
So rang die Hand der Heimatlosen
Sich schmerzlich los aus Liebeshand.
Wie Israel an Babels Bächen,
So ziehn sie, ein gescheuchtes Wild,
Der Fremde hartes Brot zu brechen –
O seid den deutschen Bettlern mild!

Auch ihnen winkten frohe Feste
Daheim, im Haus des frommen Knechts,
Da warfen sie in die Paläste
Den Schrei der Freiheit und des Rechts.
Sie kämpften mit gezücktem Worte
Und waren der Bedrückten Schild:
Ihr Heimtor ist die Kerkerpforte –
O seid den deutschen Bettlern mild!

Ach! Wie dem Baum in fremder Scholle
Ist ihres Daseins Mark versehrt;
Der blütenleere, lebensvolle,
Er wird vom eignen Saft verzehrt.
Die Tat gedeiht nicht, wo dem Streben
Des Werdens Blut aus Wunden quillt:
Sie sterben an verlornem Leben –
O seid den deutschen Bettlern mild!

Preßt ihnen Wein aus euren Trauben,
Teilt freundlich eurer Hütte Raum,
Daß sie sich in der Heimat glauben
Und das Entschwundne sehn im Traum.
Denkt, daß ihr Rock, zerstückt vom Leide
Mehr als ein Purpurmantel gilt:
Sie gehen in der Freiheit Kleide –
O seid den deutschen Bettlern mild!

Der Freiheit Schatz, der Wahrheit Segen
War stets den Bettlern anvertraut –
In kleinen Tropfen fällt der Regen,
Doch hoch in Blüten schießt das Kraut.
Auch diese hieß der Geist verkünden
Das Wort, das Blut und Tränen stillt:
Dein Reich, Gerechtigkeit, zu gründen –
O seid den deutschen Bettlern mild!


Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. 299-300 .
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