Ludwig Pfau (1821-1894)
Der Auswanderer.
1846.
Die Orgel schweigt, die Kirch' ist aus,
Ade, du altes Gotteshaus!
Heut segnet mich zum letztenmal
Mit frommer Stimme dein Choral.
Ja sende mir nur deinen Segen
Noch zum Geleit auf meinen Wegen;
Ich brauch' ihn wohl – weit ist es ja
Von hier bis nach Amerika.
Kommt, Kinder! morgen geht es fort,
Nehmt Abschied noch vom Heimatort;
Andächtig geht von Haus zu Haus
Und dann in Gottes Feld hinaus.
Hier haben wir uns oft gemühet,
Seht, wie nun alles grünt und blühet;
Den Segen heimst ein andrer ein -
Das möcht' uns schier nichts Neues sein.
So leb denn wohl, du gutes Land!
Das ich gebaut mit meiner Hand;
So leb denn wohl, du treues Feld!
Das ich so lange Jahr bestellt.
Mögst du, auch wenn wir ferne wandern,
Gedeihn und Früchte tragen andern!
Leb wohl, du Himmel mild und blau!
Schenk diesen Saaten süßen Tau.
Jetzt kommen wir zur Kirchhoftür',
Da schaut ein schwarzes Kreuzlein für;
Da liegt sie, freundlich eingehegt,
Die euch geboren und gepflegt.
Da liegt sie nun in deutscher Erden -
Ob wir so sanft wohl ruhen werden
Im fremden Land? - Doch Gott ist ja
Bei uns auch in Amerika.
Wohl hätt' ich nimmermehr geglaubt,
Ich trug' so weit dies alte Haupt;
Wohl hofft' ich, einst an ihrer Seit'
Zu ruhn von aller Müdigkeit.
So laßt uns denn zum Hügel treten
Und noch ein Vaterunser beten.
Schlaf wohl, mein Weib, im Grabe dein!
In Frieden ruhe dein Gebein.
Ach Gott! es ist ein kleiner Schmerz
Für so ein töricht altes Herz,
Zu lassen Heimat, Feld und Haus,
Und in die weite Welt hinaus! –
Still, Herz! fast wärst du überflossen
Und hättst in Klagen dich ergossen –
Bist ja gestählt in Kampf und Not,
Drum mutig fort ins Abendrot!
Ja, fort nach Abend! Kinder, kommt!
Wo unsre Müh' und Arbeit frommt;
Wo nicht, wenn unsern Schweiß wir sä'n,
Wir Angst und Kummer ernten gehn;
Wo für die Faulen nicht die Garben,
Und für die Fleißigen das Darben –
Kommt! für die Fleißigen gibt es ja
Genug Brot im Amerika.
Hier liegt auf uns ein Druck so dumpf,
Der macht uns Haupt und Herze stumpf.
Wir ziehn die Last wohl Jahr für Jahr,
Doch schwerer wird sie immerdar.
Ich weiß nicht, wen ich soll verklagen,
Doch kann kein Herz mehr fröhlich schlagen,
Und was uns fehlet zum Gedeihn,
Ich denk', das muß die Freiheit sein.
In jenen Wäldern, heilig alt,
Gibt Gott uns selber Aufenthalt;
Da weiß man nichts von Herr und Knecht,
Da gilt der Menschheit altes Recht.
Da kann man wieder fröhlich singen,
Wenn tief im Holz die Äxte klingen,
Wenn über uns der Urwald saust,
Darin der Freiheit Odem braust.
Dort schaut hinein ins Abendrot,
Drin ist versunken unsre Not;
Dort glänzt im Morgenlicht ein Strand,
Da blüht ein neues Vaterland.
Da taut aufs Land der Freiheit Segen,
Daß alle Kräfte froh sich regen –
Wo wir auch seien, Gott ist da!
Auf Kinder! nach Amerika!
Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. 324-326 .
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