Ludwig Pfau (1821-1894)

Gesang der Wasser.

Hinaus! hinaus!
Aus der Erde dunklem Haus!
Mit Ringen
Und Bäumen,
Mit Springen
Und Schäumen,
Hinaus! –
Stäub' nieder,
Von Fels zu Fels;
Und wieder,
Von Fels zu Fels;
Und munter,
Hinunter! –
Wer will mit Macht
Fesseln im Schacht
Ewiger Nacht
Unsere alten,
Freien Gewalten,
Wer will uns halten?
Ihr drohenden Quadern,
Ihr sollt uns nicht hemmen!
Wir schwellen die Adern,
Wir wälzen, wir stemmen!
Hinan!
Prall an!
Wirbelt und zischt,
Sprudel und Gischt!
Steiget wie Quellen,
Kochende Wellen!
Hinüber!
Vorüber!
Immer zu, immer zu,
Du glänzender Strahl!
Ohne Ruh', ohne Ruh'
Ins sonnige Thal! –
Wie will es uns halten
Mit süßen Gewalten!
Ihr Gärten, ihr Lauben,
Ihr funkelnden Trauben,
Ihr wogenden Felder,
Ihr säuselnden Wälder,
Ihr duftenden Auen
An Schlangengestaden,
Ihr Blumen, ihr blauen,
Die plätschernd sich baden,
Ihr dürft' uns nicht laden!
Ihr Marmorpaläste
Voll klingender Feste,
Voll springender Gäste,
Ihr Türme voll Glocken,
Voll Orgelgesängen,
Ihr dürft uns nicht locken
Mit sausenden, brausenden
Heimischen Klängen!
Müssen rauschen und fallen,
Müssen wandern und wallen
Ohne Rast, ohne Rast,
Mit murmelnder Hast. –
Die Ferne, sie winket
Mit bläulicher Hand;
Kommt Wogen und sinket
Ins tiefere Land!
Ihr Berge ade!
Ihr felsigen Schluchten,
Ihr kühlenden Buchten,
Ihr Hügel ade!
Wie flachet der Strand sich!
Wie strecket das Land sich!
Die zaubernde, plaudernde,
Schleichende Welle
Will nicht von der Stelle.
Wie eben, wie stille!
Du ringender, dringender,
Mächtiger Wille!
Strebe fort, strebe fort,
Von Ort zu Ort,
Zum ewigen Port! –
Was hallet und schallet,
Was winket und blinket
Mit bräutlichem Gruß?
Welch Sehnen und Dehnen,
Welch Ahnen und Mahnen
Beflügelt den Fuß?
Wie wachsen und schwellen
Die hüpfenden Wellen.
Wie fluten sie her!
Wie kommt es geflossen,
Unendlich ergossen,
Das heilige Meer!
Wie badet und feuchtet
Im Wellengewimmel
Sich Wolke und Himmel!
Wie schimmert und leuchtet
Aus wogender Ferne
Der klingenden Sterne
Sich schwingendes Heer! –
O Lust, o Lust!
Mit vollem Schwall
In deine Brust,
Du blaues All,
Zu gießen!
Zu fließen!
Fort! fort!
Mit Klingen
Und Brausen,
Mit Singen
Und Sausen
Zum ewigen Port! –


Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. 163-166.
Alle Rechte dieser Edition vorbehalten! © 1997-2012 by Günther Emig.
Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein..