Ludwig Pfau (1821-1894)

Gesang der Toten.

Du Wandrer, der im Lichte
Ob unsern Häuptern geht,
Auf dessen Angesichte
Das rote Leben steht –
O wolle nicht vergessen
In deinem Sonnenschein
Der Toten, die indessen
Bedeckt ein kalter Stein!

Wir haben auch dort oben
Vereinst wie du gelebt,
Von all dem Drang umwoben,
Gelitten und gestrebt.
Wir haben unsre Hände,
die fleißigen, geregt,
Eh' man in diese Wände,
Die engen, uns gelegt.

Die Wege, die du wandelst,
Die haben wir geweiht;
Die Stätte, wo du handelst,
Die haben wir befreit.
Wir sind in Nacht gestiegen,
Auf daß dir werde Licht;
Drum du, bei deinen Siegen,
Vergiß der Toten nicht!

Und hat, wie Königsleichen,
Der Tod uns schön geschmückt;
Den Zepter ohnegleichen
Uns in die Hand gedrückt,
Die hohe Lorbeergabe
Uns auf das Haupt gesetzt –
So lasse unsre Habe,
Du Neid'scher, unverletzt!

Und wenn, was wir errungen,
Dir klein und dürftig ist,
Nachdem du fortgedrungen
Auf unsern Schultern bist –
Bald werden andre kommen,
Die auf die deinen stehn,
Den Berg, den du erklommen,
Nur noch als Hügel sehn!

Drum laß den Kranz der Ehre
Uns unversehrt und ganz,
Damit dir nicht versehre
Die Nachwelt deinen Kranz.
Und wandelst du dort oben,
So denk, wer dich zum Licht,
Zum Leben dich gehoben –
Vergiß der Toten nicht!


Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. 161-162.
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