Ludwig Pfau (1821-1894)

Der Untergang der Stadt Is.

I.

Der Bischof Gwenole von Is
Zum Könige Gradlon sprach er dies:
»Der Wein ist Gift, das ist gewiß!

So lang das Meer schlägt diesen Strand,
Hat kein Bretone den Wein gekannt;
Weh! daß du ihn gebracht ins Land.

Nun hör' ich statt Glocken- nur Becherklang,
Statt christlicher Psalmen nur Heidengesang;
Ich prophezeie den Untergang.«

»Zürnt nicht, Herr Bischof, und kommt zu Tische,
Dort stehen Hasen, Schnepfen und Fische,
Hier perlt im Glase der Wein, der frische.

Den Trank, den sollt Ihr uns nicht verachten,
Nach dem wir so lange schmachten und trachten,
Er ward erkämpft in heißen Schlachten.

Ein Zaubertrank! heilt alle Schmerzen,
Setzt noch ein Herz uns in die Herzen,
Brennt uns die Seelen an wie Kerzen.

Wie Feuer läuft er durch Nerven und Adern
Und macht uns trotzig wie Felsenquadern –
Hei! wollen wir mit den Franken hadern!

Auch ist er ein Liebestrank wunderdünstig:
Die Weiber macht er uns hold und günstig
Und sinnenselig und liebebrünstig.

Und Reime findet er, schmuck wie Borden,
Verloren ist der Bardenorden:
Vom Wein ist Jeder ein Dichter worden.«

»Ja! Wein und Weiber und Gesang,
Die Dinge gehn bei euch im Schwang;
Nur schade: Allzuschön währt nicht lang!«

»Den Wein, Herr, sollt Ihr uns nimmer schelten,
Sollt's Eurem Gotte mit Beten vergelten,
Der Freude schenkte dem Lande der Kelten.

Das ist ein Saft! beim heiligen Graale!
Den reichen in blankem Goldpokale
Die Frankenpriester beim Abendmahle.

Seitdem ich sah, wie bei den Franken
Die Gläubigen sich gottselig tranken,
Hab' ich nur christliche Gedanken.«

»Treib nicht mit meinen Worten Scherz,
Gieb nicht der höllischen Lust dein Herz,
Auf tolle Freude folgt bittrer Schmerz.«

»Fürwahr! euch macht der Wein erboster
Als Eure Mönchlein droben im Kloster,
Die tränken ihn alle Paternoster.

Und hätten sie die Mäuler verloren,
Sie schluckten, glaub' ich, mit Augen und Ohren;
Das Wasser haben sie abgeschworen.«

»Das Wasser verschlingt des Schiffers Haus,
Der Wein, der richtet Schlimmres aus:
Ersäuft die Stadt mit Mann und Maus.«

»Gott brach ins Leben uns fünf der Thüren:
Sehn, Hören, Riechen, Schmecken und Spüren;
Die wollen wir öffnen nach Gebühren.

Nichts ist zu mehren da, noch zu mindern,
Mit Heidenvätern und Christenkindern
Marschieren wir durch, kein Pfaff mag's hindern.

Drum, Zechgesellen, laßt die Unke!
Erfreun wir uns am Göttertrunke,
Wer Wasser trinkt, ist ein Hallunke.«

»Ha! Wasser werdet ihr trinken all',
Schon hör' ich es rauschen mit Donnerschall:
Weh über dich, Is! du gehst zu Fall!«

II.

Dahüt, des Königs Töchterlein,
Sie sprang empor vom Stuhle,
Sie sprang mit Füßen wie Elfenbein,
Und hinter ihr sprang ihr Buhle.

Ihr Buhle war Herr Kalonek,
Der wollte sich nicht bekehren;
Das war ein Heide stolz und keck
Und haßte die christlichen Lehren.

Sie lachte, es flog ihr blau Gewand,
Ihr goldnes Haar in Lüften;
Er haschte sie bei der weißen Hand,
Er faßte sie um die Hüften.

Und vor des Fräuleins Kämmerlein,
Da stunden sie plötzlich beide;
Er wußte den Weg, er drang hinein,
Der gottvergessne Heide.

Er zog sie nieder auf den Schoß
Mit Küssen, Kosen und Schmeicheln;
Er streift ihr die marmornen Achseln bloß
Mit Necken, Fächeln und Streicheln.

»Dahüt! wie schimmert dein Arm so hell!
Wie glänzen so weiß dir die Brüste!
Sie wallen empor wie ein Doppelquell
Unerschöpflicher Lüste.

Mein Herz ist zu wildem Brand entfacht,
Es lodern mir alle Sinne;
Komm! laß uns spielen in heimlicher Nacht
Das köstliche Spiel der Minne.

Zerreiße den Gürtel und löse das Haar,
Hinweg mit Haften und Hüllen!
O Leib, wie baust du dich wunderbar!
O Weib, wie prangst du in Füllen!

Ein Mann, wer die Wahrheit in Armen hält!
Ein Gott, wem die Schönheit zu willen!
Brich aus, o Meer! und ersäufe die Welt,
Den Wonnedurst mir zu stillen!«

III.

Der König Gradlon rief im Saale:
»Den Schlaftrunk noch, Gesellen traut!
Komm, Schenk! und fülle die Pokale.

Der Bischof soll uns nicht bethören!
Greift zu! der Wein giebt süßen Traum,
Und laßt euch nicht vom Wasser stören.

Is mag sich ruhig im Meere spiegeln:
Der Brunnen, der die Flut verschließt,
Er hat ein Schloß mit sieben Riegeln.

Der Schlüssel hängt an goldner Kette,
Die Kette hängt an meinem Hals
Tags auf dem Thron und nachts im Bette.

Wird einst die See zu Wein, Gesellen,
Dann öffnen wir; indessen schreckt
Das Meer uns wie den Fisch die Wellen.

Nun gute Nacht, ihr wackern Zecher!
Stoßt an mit kräft'gem Prall, trinkt aus!«
Da klang so schrill des Königs Becher.

Still war's, verstummt Gesang und Schmausen,
Gewölke zog am Mond vorbei,
Vom Meere kam ein dumpfes Brausen.

Es war ein Wunder, da den alten
Entschlafnen König anzuschaun,
Gehüllt in seines Purpurs Falten.

Die schönen Glieder schlafergossen,
Die Schultern und das edle Haupt
Von Locken weiß wie Schnee umflossen.

Horch! barfuß kommt die lilienweiße
Dahüt, des Königs Töchterlein;
Sie schleicht zum Lager leise, leise.

Sie beugt sich vor und lauscht am Bette,
Sie kniet auf ihre beiden Knie
Und nimmt den Schlüssel samt der Kette.

IV.

So sprach Herr Gwenole zu den Mönchen,
Die bechernd saßen um ein Tönnchen:
»Der König mit seinem ganzen Stamm
Geht unter in Dei gloriam.«

Da sang der Chor der Fratres dazwischen:
»Sie mögen sich alle mit Wasser erfrischen!
Doch ceterum censeo, Brüderlein fein,
Den Wein, den wollen wir retten, den Wein!«

»Ich prophezeite den Isern lange,
Sie seien reif zum Untergange -
Das düngt ein Christentum wundersam,
Sündfluten in Dei gloriam.«

Da sang der Chor der Fratres dazwischen:
»Wer kann dem Gerichte Gottes entwischen?
Doch ceterum censeo, Brüderlein fein,
Den Wein, den wollen wir retten, den Wein!«

»Oft drohte mir Kalonek, der tolle,
Daß er uns alles ersäufen wolle:
Gott Vater, Gott Mutter und Gott das Lamm.
Ich sprach: In Dei gloriam.«

Da sang der Chor der Fratres dazwischen:
»Wir wollen uns nicht ins Wasser mischen;
Doch ceterum censeo, Brüderlein fein,
Den Wein, den wollen wir retten, den Wein!«

»Ich stachelte baß des Heiden Galle
Mit Predigen in der Königshalle;
Jetzt öffnet er des Meeres Damm,
Ich weiß es, in Dei gloriam.«

Da sang der Chor der Fratres dazwischen:
»Und wohl bekomm’s den Krebsen und Fischen!
Doch ceterum censeo, Brüderlein fein,
Den Wein, den wollen wir retten, den Wein!«

»Hört, hört! wie die Wasser schon sausen und brausen!
Bald wird in Is die Meerflut hausen;
Schaut! Welle auf Welle mit weißem Kamm
Springt an in Dei gloriam.«

Da sang der Chor der Fratres dazwischen:
»Wohl fünfe liegen wohl unter den Tischen;
Doch ceterum censeo, Brüderlein fein,
Den Wein, den wollen wir retten, den Wein!«

»Nun wachsen geschäftig in Sälen und Hallen
Rotschimmernde Säulen von Blutkorallen;
Nun sproßt in den Gärten des Meeres Schwamm,
Und alles in Dei gloriam.«

Da sang der Chor der Fratres dazwischen:
»Jetzt mag das Meer um die Fässser zischen;
Denn ceterum censeo, Brüderlein fein,
Der Wein ist getrunken, gerettet der Wein!«

VI.

Auf! König, auf und zu Pferde!
Die Wasser kommen zuhauf;
Das Wasser verschlingt die Erde –
Wach auf! o König, wach auf!

Horch! wie die Wogen brüllen,
Sie spielen mit deinem Thron;
Sie steigen und gießen und füllen,
Sie kommen, sie fassen dich schon!«

Der König mit tastenden Sinnen
Greift nach der Krone im Traum;
Da reißt ihn die Flut von hinnen
Tief in den wirbelnden Schaum.

Es leuchtet durch das Dunkel
Sein weißes, wallendes Haar;
Es blitzen die Karfunkel
Seiner Krone wunderbar.

Sein Königsmantel schimmert
Durchs Wasser mit purpurnem Schein;
Herr Gradlon glüht und glimmert,
Als schwämm' er in rotem Wein.

Hintreibt er im Versinken –
Noch sah man aus dunkler Fern
Die wogende Krone blinken
Wie einen verlöschenden Stern.

VII.

Alljährlich am Sankt Bachustag
Hat König Gradlon viele Gaste:
Mit Fahnenwehn und Trommelschlag
Strömt Schar um Schar zu seinem Feste.

Denn vor der Kirchen ist sein Bild
Zu Kemper, in der Stadt, zu schauen:
Ein riesig Mann mit Schwert und Schild
Und hoch zu Roß in Stein gehauen.

Er blickt hernieder ernst und stumm;
Sie rufen: »Heil dir, guter König!«
Schalmeie klingt und Zimbulum,
Drommeten schmettern jubeltönig.

Die treuen Männer von Armor
Vergaßen nicht den Rebenfürsten,
Und segnend schaun zu ihm empor
Die Herzen alle, die da dürsten.

Als Mundschenk tritt der Zinkenist
Von Kemper zu dem Bild von Steine;
Die Kanne, die voll Weines ist,
Nimmt er zur Hand, und keine kleine.

Er steigt zum König auf das Pferd,
Bewehrt mit einem goldnen Becher;
Der tapfre Spielmann, trunkbewährt,
Verneigt sich vor dem alten Zecher.

Die schönste Krone, grünbelaubt,
Gepflückt von holden Winzerinnen,
Setzt er ihm auf sein steinern Haupt
Und bind't ihm um den Hals ein Linnen.

Er schwenkt den Becher, schenkt den Wein
Und führt ihn zu des Königs Lippen;
Er lädt den Alten ziemend ein,
Von seinem Lieblingstrank zu nippen.

Der arme Herr! die Lippen kunnt
Er nicht mehr öffnen nach Gebühren;
Und nur zu netzen seinen Mund,
Dafür wird sich kein Gradlon rühren.

Starr sitzt er – ach! und trank so gern!
Doch ist er heut' zum Glück selbander;
Der Mundschenk spricht: »Bekomm's dem Herrn!«
Der bringt die Zähne auseinander.

Er trinkt mit Pflichtgefühl und Mut,
Sei's nun vom Alten oder Neuen;
Was er zu Gradlons Ehren thut,
Das kann ja keinen Spielmann reuen.

Er schenkt, bis daß der Humpen leer,
Er schwingt den Becher ob der Menge
Und ruft: »Der König trinkt nicht mehr!«
Und wirft den goldnen ins Gedränge.

Dann schaut er stolz umher und spricht:
»Geh, leer Gefäß, zum vollen Fasse!
Zu stillen, das ist Fürstenpflicht,
Des Volkes Durst nach edlem Nasse.

Herr Gradlon, der ein Winzer war,
Wie Noah und wie Charlemagne,
Er sei gepriesen immerdar,
Der Wein-Gambrinus der Bretagne!«

VIII.

Und der euch sang dies Lied von Is,
Trinkt selber gern von edlem Gewächse;
Er sang's in der guten Stadt Paris
Eintausend achthundert fünfzig und sechse.

Er ist ein fahrender Zinkenist
Und läßt den leeren Becher sinken –
Betrübt, daß Gradlon ertrunken ist,
Und daß die Gwenole nicht ertrinken.


Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. 174-187.
Alle Rechte dieser Edition vorbehalten! © 1997-2012 by Günther Emig.
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