Ludwig Pfau (1821-1894)
Don Sancho.
I.
Sie kniete so licht im dunkeln Chor,
Gebeugt von Herzensnöten;
Sie neigte sich zu des Priesters Ohr
Und sprach mit holdem Erröten:
»Herr Bischof! ich habe nicht Rast noch Ruh',
Ich habe mich schwer versündigt;
Herr Bischof! macht die Augen zu,
Bis ich den Fehl Euch verkündigt.
Die Nacht war süß und wunderbar,
Der Garten so heimlich stille;
Die Sterne glänzten so mild und klar,
Als wäre mein Glück ihr Wille.
Im Lorbeerwäldchen die Nachtigall,
Sie sang so liebegirrend;
Und in den Beeten die Rosen all,
Sie rochen so sinnverwirrend.
Vom Schlosse klang, bald leis, bald laut,
Das Spiel von Harfnern und Geigern –
Don Sancho bat so lieb und traut,
Ich konnt' ihm nichts verweigern.
Er küßte mich mit Fieberglut,
Er nannte mich sein Leben;
Er bat so sanft, er bat so gut –
Da hab' ich ihm alles gegeben!«
»Mein Kind! wir sündigen allzumal,
Da schützt kein Rang noch Titel;
Doch hat die Kirche reiche Wahl
Heilkräftiger Gnadenmittel.
Don Sancho ist der böse Feind,
Du mußt dich von ihm befreien
Durch Buß' und Reue, treugemeint,
Durch Fasten und Kasteien.«
»O Herr! mein Herz ist gar verstockt,
Das hüpft und klopft und klingelt!
Ach! wenn er mir nur mit Augen lockt,
Hält mich die Lust umringelt.
Es brennt sein Kuß wie feurige Loh',
Und brennt durch all mein Denken;
O hätt' ich mein Herz noch, wie wär' ich froh!
Ich könnt' es ihm noch einmal schenken.
Herr Bischof! wie geh’ ich aus der Schuld?
Sie will mich nicht gereuen;
Es mag mich keine Himmelshuld
Wie meine Sünde freuen.
O betet mit aller Klerisei,
Mein Herz liegt sehr im Argen!«
»Prinzessin! ich will mit Litanei
Und mit Gebet nicht kargen.
Doch les' ich Messe den ganzen Tag
Mit allen meinen Pfaffen –
Was du verloren, mein Kind, das mag
Kein Heil'ger dir wieder schaffen.«
II.
Des Fräuleins schönste Kammerfrau,
Sie saß aus des Königs Schoße;
Sie lächelte zärtlich, sie blinzle schlau,
Sie sprach mit süßem Gekose:
»Nicht länger, königliches Lieb!
Darf ich die Mär verschweigen –
Allnächtlich seh' ich den schlimmsten Dieb
In deinen Garten steigen.
Er macht sein Liebesnest gar fein
Auf deinem Königsthrone –
Don Sancho bestiehlt dein Töchterlein
Um ihre schönste Krone.«
Der König trat aus den Söller vor,
Er zitterte vor Grimme;
Er beugte sich nieder mit lauschendem Ohr,
Da sprach Don Sanchos Stimme:
»O Glück! du bist wie Gold so schwer,
Kaum kann ein Herz dich tragen;
O Herz! du brandest wie ein Meer
Und darfst nicht überschlagen.
Ihr Sterne mit segnendem Liebesschein!
Euch sag' ich's ganz alleine:
Des Königs holdseliges Töchterlein,
Sie ist die Meine, die Meine!«
Da rief der König: »Wir Sterne sind
Erbaut von dieser Kunde;
Wir sagen dir Dank, o Edelkind!
Aus eines Königs Munde.
Doch wisse, ist einem Herzen vergunnt
Das Höchste zu erwerben,
So kann es nicht leben, es muß zur Stund'
An seinem Glücke sterben.«
Da lief Don Sancho, jäh erwacht,
Zum Turn mit ehrnen Thoren;
Der glänzte marmorn durch die Nacht,
Er stammte von den Mohren.
Don Sancho verschloß das feste Haus,
Er war in des Fräuleins Gemächern;
Er schaute trotzig zum Fenster heraus,
Hoch über allen Dächern.
Er rief hinunter wohlgemut:
»Hier bin ich für heute geborgen!
Herr König! ich zahle mit meinem Blut,
Doch bleib' ich dein Schuldner bis morgen.«
Das bleiche Königstöchterlein,
Herrn Sancho thät sie umschlingen –:
»O Gott! ist denn mein Herz von Stein,
Daß es nicht will zerspringen?«
»Lieb Herze! klein ist unsre Weil,
So große Lust zu büßen –
Zu Häupten liegt mir das Henkerbeil,
Die Totenbahr steht mir zu Füßen.
Lieb Herze! keine Zeit ist mein,
Die wir verweinen dürfen;
Wir müssen eilig den letzten Wein
Aus brechendem Becher schlürfen.
Die Rosen unsrer Liebeslust,
Die flattern entsetzt vom Stengel –
Komm, küß mir das Leben aus der Brust,
Du lieber Todesengel!
Vor deinem Hauch, du süße Braut!
Verschwinden alle Sorgen;
Will ruhn als wie ein Kindlein traut
An deiner Brust geborgen.
Will ruhn in deinem blühenden Schoß,
Von herrlicher Minne trunken,
Bis über uns unter uns bodenlos
Leben und Sterben versunken.«
III.
Der Wächter an der Zinne lag,
Er sang herab mit Schrecken:
»O weh! o weh! es kommt der Tag,
Ich kann ihn nicht verstecken.«
Ans Fenster schlich der Morgenschein
So leis in bleicher Trauer –
Da lief Herrn Sancho durch Mark und Bein
Ein jäher Todesschauer.
Er küßte sein Weib und sprach: »Gott grüß!
Du Tag, du Leichenbitter!
O Gott! was ist die Liebe so süß,
Und der Tod, der Tod so bitter!«
Er preßte sie heftig in den Arm
Und sprang empor vom Pfühle –:
»O Gott! wie ist das Leben so warm,
Und das Grab, das Grab so kühle!«
Don Sancho schritt von dannen schnell
Durch schwarzverhängte Hallen;
Er sprach zum König: »Ich bin zur Stell',
Mein Leben ist dir verfallen.
Doch wisse, mich reut kein Gruß, kein Blick,
Das wirst du dulden müssen;
Ich preise selig mein Geschick,
Das untergeht in Küssen.
Und wird der schöne Liebestraum
In meinem Blut gerochen,
So hab' ich doch vom fürstlichen Baum
Verbotne Frucht gebrochen.
Hier ist mein Haupt, mein Nacken ist bloß,
Mein rotes Blut, nun rinne!
Verströme du jauchzend in den Schoß
Der freien, der ewigen Minne!«
Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. 188-193.
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