Ludwig Pfau (1821-1894)

Minna.

I.

Die Nachtviole muß im tiefsten Herzen
Den Duft verschließen vor des Lichtes Wellen;
Solang um sie des Tages Kinder scherzen,
Träumt sie hinab in ihres Lebens Zellen;
Doch wann die Nacht entzündet ihre Kerzen
Und öffnet ihres Thaus verborgne Quellen –
Alsdann erschließt der Kelch sein Wanderleben,
Läßt seiner Düfte stumme Lieder schweben.

Du gehst, mein Lieb, durchs lärmende Gewühle
Des wirren Tages, still in dich versunken;
Es ahnt kein Aug' in deiner Schönheit Kühle
Dein heilig Herz, von hoher Weihe trunken;
Nur mir, in stummer Zwiesprach der Gefühle,
Hat deines Busens goldner Schatz gewunken –
Sah ich im Auge dir, im liebefeuchten,
Der ganzen Menschheit reine Flamme leuchten.

II.

Das konnte mir mein Schicksal nicht ersparen,
Es schneidet mir mein Los aus vollem Kerne;
Ein dunkler Schmerz noch blieb zu offenbaren,
Da sankst du, hellster meiner Jugendsterne:
So alt an Liebe und so jung an Jahren
Zogst du dahin, zu sterben in der Ferne –
Du echtes Weib, das mich mit Küssen feite
Und mir die Lippen zum Gesange weihte.

Du liebeschuld'ge, holde Dulderinne!
Zwei Teile machtest du aus deinen Losen
Und sprachst mit kindlich-mütterlichem Sinne:
»Den Dornenkranz laß mir, nimm du die Rosen.«
Dann flohst du, teures Opferlamm der Minne,
Zum sichern Obdach aller Heimatlosen –
Auf deinen Sarg leg' ich die Laute nieder,
Du schöne Muse meiner jungen Lieder!

Wie Spieler, die zu schwer am Glücke tragen,
Verstreun wir Schätze goldner Zärtlichkeiten;
Doch hat manch treues Herz nun ausgeschlagen,
Da wird es still und einsam wo wir schreiten;
Die Liebesklänge werden Totenklagen,
Wir schauen um, und Gräber stehn im Weiten –
Das deine ragt wie eine Pyramide,
Mein größtes Grab; du aber lebst im Liede.


Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. 417-418 .
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